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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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von ebensolcher Sanftmut war wie Majid. Groß und prächtig war die Vermählung, und kleingeistig und niederträchtig war Khadujs Verhalten danach. Endlich fest im Sattel als Hausherrin von Watoro, dachte sie nicht daran, die Zügel an Aisha abzugeben. Einige Monate dauerte dieses Tauziehen an, bis Djilfidan schließlich für sich und ihre Tochter bei Chole in Tani um Asyl bat – und es auch bekam. Und die zarte, gazellenäugige Aisha nahm all ihre Kraft zusammen, sprach Majid gegenüber die Scheidung aus, packte ihre Sachen und kehrte zu ihrer Tante nach Muscat zurück, noch ehe diese Ehe Früchte getragen hatte. Majid war untröstlich seither, und Salima litt mit ihm.
    Auf Zehenspitzen huschte sie durch einen Gang, der fast immer verlassen dalag. Hier im Erdgeschoss hielt sich niemand gerne auf; es war feucht, Wände und Decken verströmten einen Moderdunst, der immer stärker wurde, je näher mandem letzten Raum kam. An einem ihrer ersten Tage in Beit il Tani hatte sie sich einmal heillos verlaufen und war auf ihrem Irrweg schließlich hier unten gelandet. Neugierig hatte sie die Nase in alle Räume gesteckt und in diesem einen schließlich eine Entdeckung gemacht, die ihr die Tür zu einer neuen Welt geöffnet hatte.
    »As-salamu aleikum« , grüßte sie an der Türschwelle, atemlos noch vom Reiten und vom Laufen, vor kribbelnder Aufregung.
    Der weißbärtige, verwitterte alte Mann, gebeugt von der Last der Jahre, die Schultern vom langen krummen Sitzen hochgezogen, klappte das Buch zu, in dessen vor Feuchtigkeit welligen Seiten er gelesen hatte, und verneigte sich leicht. »Wa aleikum as-salam, Sayyida Salima.«
    Ein feines Lächeln erschien auf seinen zerknitterten Zügen, als er das Buch in die Truhe zurücklegte, wo es aufbewahrt wurde. »War Euch eine erfolgreiche Jagd vergönnt?«
    Salima lachte, als sie die Sandalen abstellte, Gewehrgurt und Beutel abstreifte und beides auf den Boden legte. »Sehr. Eine ganze Herde Mangos konnte ich erlegen! – Verzeiht, dass ich Euch warten ließ, Adnan.«
    Der so Angeredete wiegte leicht den Kopf. »Geduld ist eine der höchsten Tugenden, Sayyida, und die Gelehrsamkeit hat alle Zeit der Welt.«
    »Ich aber nicht«, gab sie scherzhaft zurück und entledigte sich der schele und der Maske. Was sie und Adnan, einen altgedienten Schreiber ihres Vaters, verband, war verboten genug; da kam es auf diesen Verzicht auf förmliche Sittsamkeit schon lange nicht mehr an. Mit gekreuzten Beinen ließ sie sich auf einem der beiden bereitliegenden Polster nieder und rückte sich das Rohrgestell zurecht, das davor auf dem Boden stand, strich zärtlich über das Papier, das darauf bereitlag, und tunkte die Spitze des aus Bambus zurechtgeschnittenen Federhaltersin das tönerne Fässchen, gefüllt mit einer klebrigen, klumpenden Mixtur aus Ruß und Gummiarabikum. »Ich bin bereit!«
    Ächzend ließ sich Adnan neben ihr nieder und begann, alte arabische Verse aus dem Gedächtnis zu zitieren. Seine leicht kurzsichtigen Äuglein hatte er zusammengekniffen, den Oberkörper leicht vorgebeugt, um darüber zu wachen, was Salima niederschrieb.
    Von Anfang an hatte Salima nicht verstanden, warum die Buben in der Schule mittels eines vom Kamel stammenden gebleichten Schulterblatts und mit Tinte die Verse des Koran schreiben lernten und die Mädchen nicht. Auf ihr beharrliches Nachfragen hatte sie stets die gleichen barschen Antworten erhalten: »Das ist eben so!« oder »Das gehört sich für Mädchen nicht!« Manchmal auch: »Der Prophet hat es so verfügt!« oder gar: »Das ist Allah ein Gräuel!«
    Irgendwann hatte Salima nicht mehr gefragt. Verstanden hatte sie es nicht. Und ungerecht fand sie es obendrein.
    An jenem einen Tag jedoch, während sie in diesem Raum die Truhen durchstöberte, persische und arabische Bücher durchblätterte, schließlich einen Koran, dessen Seiten mürbe waren vom Alter und von Feuchtigkeit, und die vertrauten Zeilen las, hatte sie eine Eingebung. Wenn sie doch die Zeichen erkennen und zu Worten, zu Sätzen zusammenfügen konnte – konnte sie sie dann nicht auch einfach abmalen?
    Mit der Ausrede, sie hätte so ein Schulterblatt gern für ihre Puppe, und mit der Tinte und der Feder wollte sie gern ein Bild zeichnen, hatte sie Hamdan die Utensilien abgeschwatzt und an ihren neuen Zufluchtsort, die vergessene Bibliothek von Beit il Tani, gebracht. Stunden konnte sie hier verbringen, die Zungenspitze angestrengt auf die Oberlippe geheftet, die Finger ungelenk um die

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