Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
in Richtung des Wassers ritten, desto lockerer wurde das Gassengeflecht. Handelskompanien aus Hamburg, Marseille und aus dem amerikanischen Salem hatten hier ihre Niederlassungen mit Kontoren und Lagerräumen und Wohnungen für die Angestellten. Dicht am Meer, wo die salzige Brise für Frische und etwas Kühlung sorgte, waren die Konsulate von England, Frankreich und Amerikain geräumigen Häusern untergebracht, allesamt von reichen arabischen Kaufleuten an die Ausländer vermietet.
Ganz in der Nähe erhob sich trutzig das alte Fort. Dicke Mauern und eckige Türme umfassten eine Befestigungsanlage, in dem sich sowohl die Garnison als auch das einzige Gefängnis Sansibars befand. Von den Portugiesen einst errichtet, als sie noch die Herren der Insel gewesen waren, stellte es die Keimzelle dar, aus der die Steinstadt mit Ankunft der Omanis gewachsen war. Daneben fand der größte Markt Sansibars statt, Sokokuu oder auch »Salzmarkt« genannt. In Körben, die sie auf den Köpfen balancierten, brachten die Verkäufer ihre Waren auf den offenen Platz, um sie auf der nackten Erde auszubreiten und aufzutürmen und dann unter ohrenbetäubenden Rufen feilzubieten: Orangen und Kokosnüsse; Zuckerrohr, Bananen und Süßkartoffeln; Mangos und Ananas.
Neben der Befestigungsanlage stand der frühere Sultanspalast, längst dem Verfall preisgegeben, und zur Uferböschung hin reckte sich der hohe Steinturm für das Leuchtfeuer in den Himmel, der in den langen Tropennächten den Schiffen den Weg wies. Über dem irisierend blaugrünen Meer, das von Schiffen und von kleinen arabischen dhaus mit ihren dreieckigen Segeln wimmelte, erstreckte sich der Palastkomplex des Sultans. Der lang gezogene weiße Bau von Beit il Sahil, der »Palast an der Küste«, stand am Anfang der Häuserreihe: drei Stockwerke hinter einer schmucklosen Fassade, mit einem Dach aus roten und grünen Ziegeln. Lindgrün waren auch die hölzernen Läden zum Schutz gegen die Sonnenglut. Den einzigen Zierrat des Gebäudes stellte die lange Veranda dar, in deren Schatten der Sultan bis zu dreimal täglich Audienz abzuhalten pflegte. Eine hohe Mauer schützte den Palast vor den Launen der See, und dazwischen gediehen prächtige Granatapfelbäume, die in ihrer tiefroten Blüte aussahen, als stünden sie in Flammen. Davor zeugte auf einer Plattform eineReihe von Geschützen von dem Willen, den Palast jederzeit zu verteidigen.
Wand an Wand neben Beit il Sahil, zierlich und luftig und anmutig verschnörkelt, stand Beit il Hukm, der »Palast des Urteils«, in dem die Frauengemächer untergebracht waren, an den sich ein dreistöckiges Wirtschaftsgebäude anschloss, dem Zweck entsprechend nüchtern gebaut. Dann folgte Beit il Watoro, in Sichtweite des Zollgebäudes, wo die Händler fünf Hundertstel des Wertes ihrer ein- und ausgeführten Waren zu entrichten hatten.
Die beiden Geschwister ritten auf die Rückseite Beit il Sahils zu, vorbei an dem weißen Kuppelbau, der die Grabmale der Familie barg, und vorbei an einer noch frischen Ruine: ein Haus, von Sultan Sayyid Sa’id für künftige Audienzen und Lustbarkeiten geplant, das kurz vor der Fertigstellung eingestürzt war. Mehrere Dutzend Steinmetze waren dabei in den Tod gerissen worden, und seither flüsterte man in der Stadt von einem schlechten Omen für den Sultan und seine Nachkommen.
So glatt die Seeseite Beit il Sahils sich präsentierte, so verschachtelt war jene zur Stadt hin. Diverse Außenhäuser für Diener und Lagerräume erwuchsen aus den Grundmauern des Palastes, ein Gebetshaus und die großzügigen Stallungen. Hier übergaben Salima und Hamdan ihre Pferde den Knechten, und nach einer kurzen, nichtsdestoweniger herzlichen Verabschiedung ging jeder seiner Wege.
Salima hatte es eilig – bestimmt war sie wieder zu spät dran –, und sie musste an sich halten, um nicht zu rennen. Es fiel ihr schwer, gemessenen Schrittes den Innenhof zu durchqueren; für den langsam-feierlichen Trippelschritt, der sich geziemt hätte, hatte sie noch nie die Geduld aufgebracht. Aber in Beit il Sahil herrschte immer so viel Trubel, dass sie nicht weiter auffiel.
In einer Ecke des Hofes wurden gerade Ziegen, Enten und Hühner für die Mittagsmahlzeit geschlachtet, gehäutet und dann fachmännisch ausgeweidet und zerteilt. Am Fuße einer der gewaltigen Säulen, die zwischen Erde und Dachgeschoss den Hof in Reih und Glied umliefen, drang Rauch aus der Küche, der einen verlockenden Duft nach gesottenem Gemüse und scharfem
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