Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
ein Streitgespräch miteinander. Salima war beinahe glücklich.
Vater wäre stolz auf mich. Und Mutter … Mutter gewiss auch.
Fast fünf Jahre war es her, dass Barghash versucht hatte, Majid zu entmachten, und vernichtend geschlagen worden war. Dem Sturm, der sich über Monate hinweg auf der Insel zusammengebraut und in nur wenigen Tagen entladen hatte, war Stille gefolgt. Majids Urteil gegen die Verschwörer war milde ausgefallen. Auf Wunsch des britischen Konsuls war Barghash nach Bombay verbannt worden, und Abd’ul Aziz, der seinen viel älteren Halbbruder seit der Revolte regelrecht vergötterte, war aus freien Stücken mit ihm gegangen. Seine Schwestern und Nichten hatte Majid, gegen den Rat Rigbys, ungeachtet der Forderungen seiner Minister und trotz des Drängens der Bevölkerung unbehelligt gelassen.
Sie waren gestraft genug. Von einem Tag auf den anderen wurde Beit il Tani von jedermann gemieden, als würden dort Pest und Cholera wüten. Nicht einmal die aufdringlichen indischen Händler, die sonst die Türschwelle belagert hatten, um den Frauen Stoffe, Silberschmuck und allerlei Tand aufzuschwatzen, ließen sich mehr blicken. Dennoch beobachtete die ganze Stadt genau, was Chole und Salima fürderhin treiben mochten. Die Verräterinnen. Die Heuchlerinnen. Doppelzüngig wie die Schlangen.
Salima wusste sehr wohl, was über sie geredet wurde, in der Stadt und auch auf der übrigen Insel. Seltsam, wie laut und vernehmlich gerade das sein kann, was hinter vorgehaltener Hand geflüstert wird. Salima hatte es nur wenige Tage lang ertragenkönnen, dann hatte sie ihr Geschmeide und ein paar Kleidungsstücke packen, einen Muskatesel satteln lassen und war ins Innere der Insel, nach der zweieinhalb Stunden entfernten, von ihrer Mutter geerbten Plantage Kisimbani geflohen. Allein.
Chole hatte es etwas länger ausgehalten, war dann aber auch bald aufs Land hinausgezogen. Ebenso wie Meje und wie die immer noch unzertrennlichen Schwestern Shambu’a und Farshu. Die Zerstörung Marseilles trugen sie mit Fassung. Sie besaßen noch andere Plantagen nebst Häusern und ein beträchtliches Vermögen aus dem Erbe ihres Vaters. »Ist doch nicht der Rede wert! Was bedeutet schon ein noch so prächtiges Haus und noch so viel Geld …«, hatte Shambu’a verkündet, und Farshu hatte ergänzt: »… wenn so viele unserer treuen Sklaven ihr Leben lassen mussten oder für immer verkrüppelt bleiben werden!«
Die Schuld, die sie auf sich geladen hatten, war allgegenwärtig: Männer, von denen sie wussten, dass sie ihre Frauen oder ihre Kinder im Beschuss Marseilles verloren hatten; Kinder, die ohne Vater aufwachsen mussten, viele Witwen. Sklaven, die nicht mehr arbeiten konnten, weil einer Kugel der Wundbrand gefolgt war und ihnen einen Arm, ein Bein genommen hatte, die nur noch ein Auge hatten oder zerschossene Glieder. Wiedergutmachung gab es dafür keine, und doch war Salima bestrebt, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Gab Geld und reichlich von der Ernte ihrer Felder, vergaß auch die Alten und Kranken nicht, die im Umkreis lebten und aus der Küche Kisimbanis mit versorgt wurden. Nur selten kam ein Bote mit Nachricht von Shambu’a und Farshu und nie von Chole. Auch nicht von Majid oder Meje, und obwohl Barghash vor drei Jahren aus seinem Exil zurückkehren durfte, nachdem er seine Vergehen bereut und Majid ewige Treue geschworen hatte, hatte Salima nichts mehr von ihm gehört.
Salima öffnete die Augen, als es auf ihrem Arm zappelte.
»Alles wieder gut?« Der kleine Junge nickte und zog geräuschvoll die Nase hoch. Salima ließ ihn hinab und sah zu, wie er munter davonsprang, um gebadet zu werden. Ein Räuspern in ihrem Rücken ließ sie lächeln. Ohne dass sie hinsah, wusste sie, dass halb hinter dem Türrahmen verborgen ihr nakora , ihr Verwalter, mit abgewandtem Kopf stand und unauffällig auf sich aufmerksam machte.
»Ich komme, Murjan!«, rief sie, drehte sich aber erst um, als die betont lauten Schritte im Haus verschwanden. Murjan, ihre rechte Hand auf Kisimbani, war äußerst bemüht, die arabischen Umgangsformen einzuhalten, die Salima hier auf dem Land so sträflich vernachlässigte. Das Leben auf Kisimbani war deutlich afrikanisch geprägt; bezeichnend, dass man sie hier nur mit Bibi betitelte, »Herrin« oder einfach »Frau«, nicht mit Sayyida , »Prinzessin«, und dass man sie ausschließlich mit Salmé ansprach, einer runderen Version ihres Namens, die das Suaheli aus den arabischen Lauten
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