Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
schliff.
In Haus und Hof, unter Frauen und Kindern, ließ sie schele und Maske einfach weg und begnügte sich, mehr zum Schutz gegen die Sonne denn aus Sittsamkeit, mit einer kanga , unter der sie ihr Haar verbarg. Nur wenn sich Besuch ankündigte – Kisimbani lag genau am Knotenpunkt der beiden kurzen Hauptstraßen der Insel und bot daher einen beliebten Zwischenhalt auf Reisen – oder wenn sie über die Plantagen ritt, verbarg sie ihr Gesicht, wie es der Brauch gebot. Und wenn sie mit Murjan Geschäftliches durchzugehen hatte.
So wie jetzt, als sie raschen Schrittes den Innenhof durchquerte und Maske und schele , die auf einem Stuhl neben der Tür lagen, aufsammelte und sich überstreifte, ehe sie ins Haus trat und ihr Kontor aufsuchte.
17
»Hier, Bibi Salmé.« Murjan, der groß gewachsene, hagere Abessinier mit einem Gesicht wie aus gegerbtem Leder in der Farbe von starkem Tee, breitete eine Reihe mit Zahlen beschriebener Papiere vor seiner Herrin aus. »Die Aufstellungen Eurer anderen beiden shambas sind gekommen.«
Interessiert beugte sich Salima darüber und studierte sie genau: wie die Ernte an Gewürznelken und Kokosnüssen im vergangenen Monat ausgefallen und welche Summen aus dem Verkauf dafür erzielt worden waren. Dass die Verwalter ihrer drei Plantagen – eine vom Vater, die anderen beiden von ihrer Mutter geerbt – ihr regelmäßig und in kurzen Abständen schriftlich Bericht über die Vorgänge auf den Besitzungen erstatteten, über Erträge, Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft ablegten und dass keine wichtige Entscheidung ohne Salimas Zustimmung getroffen wurde, waren ebenfalls Neuerungen, die Salima eingeführt hatte. Sie wusste es zu schätzen, dass keiner der Männer offen oder Dritten gegenüber sein Missfallen darüber geäußert hatte, dass sie – als Frau – sich der Leitung der Plantagen gründlicher widmete als mancher Mann. Und dass sie wesentlich sorgfältiger mit ihren Besitzungen umging als alle anderen Frauen auf der Insel. Des Schreibens immer, des Lesens oft unkundig, verließen diesesich blind auf die mündlichen Angaben ihrer Verwalter, auf manchmal phantasievoll erdichtete Abrechnungen – Hauptsache, am Ende des Jahres kamen ein paar tausend Maria-Theresien-Taler ins Haus. Anders Salima: Die Plantagen so gut wie möglich zu führen, immer ihr Augenmerk darauf zu richten, was sich verbessern ließ, die Erträge weiter zu steigern machte ihr Freude und füllte ihre Tage mit Sinn.
»Was ist hiermit?« Ihr Zeigefinger tippte auf eines der Blätter, das etwas niedrigere Zahlen verzeichnete als die übrigen, weniger, als sie es aus dem vorangegangenen Monat im Gedächtnis hatte.
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen, Herrin.« Murjans dunkles Gesicht verzog sich kummervoll, als trüge er die Schuld an den schlechten Nachrichten, die er zu überbringen hatte. »Hassan bin Ali hat ein Schreiben beigefügt. Gut drei Dutzend Bäume im Osten der Plantage haben kaum Knospen ausgetrieben. Er vermutet, dass ihre ertragreichen Jahre vorüber sind.«
Nachdenklich an ihrer Unterlippe kauend, las sie den Brief, den Murjan ihr gereicht hatte. Frühestens nach fünf, sechs Jahren war ein Nelkenbaum so weit, dass seine Knospen zum Trocknen geerntet werden konnten. Auf Sansibar ließ man ihm in der Regel neun Jahre Zeit. Bis zum zwölften Jahr war der Ertrag am reichsten, steckte in den Knospen das stärkste Aroma. Danach waren die Bäume erschöpft und mussten geschlagen werden.
Wie lange es schon Gewürznelken auf Sansibar gab, wusste niemand mit Sicherheit zu sagen. Einige erzählten, französische Sklavenhändler seien es gewesen, die heimlich Samen von den Molukken geschmuggelt hätten, um den Holländern, die das Monopol auf Anbau und Handel des kostbaren Gewürzes innehatten, ein Schnippchen zu schlagen. Auf der damals noch französisch besetzten Insel Mauritius ausgesätund vermehrt, sollen sie danach, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, nach Sansibar gebracht worden sein. Nach anderen Überlieferungen war es ein reicher arabischer Händler gewesen, der zu Beginn dieses Jahrhunderts auf seinen Besitzungen Mtoni und Kisimbani die ersten Gewürznelkenbäume Sansibars setzen ließ. Welcher dieser Berichte auch zutraf: In jedem Fall war es Salimas Vater, der Sultan, gewesen, der nicht nur Mtoni und Kisimbani erworben, sondern der auch erkannt hatte, welch ein Reichtum in den Bäumen schlummerte, und der ihren groß angelegten Anbau in die Wege leitete.
Salima unterdrückte
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