Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Leidenschaft der Sinne. Ohne Heinrich gab es in jeder kleinen Freude, jedem Glücksmoment eine Lücke, die von Sehnsucht eingefasst war. Und dennoch war ein bisschen von Heinrich immer bei ihr – in ihrer beider Sohn.
Auf Sansibar wäre der Kleine unmittelbar nach der Geburt gewaschen und, mit duftendem Puder bestäubt, in ein Hemdchen gesteckt und dann in eine Stoffbahn fest eingewickelt worden, die nur den Kopf frei ließ und die nur abgenommen würde, um ihn zweimal am Tag zu baden und ihm die Windeln zu wechseln, und das vierzig Tage lang, damit ein gerader Wuchs gewährleistet sei. Vierzig Tage, in denen nur Mutter und Vater, Amme und vertraute Sklaven, vielleicht noch enge Freundinnen der Mutter das Kind sehen durften, damit es vor dem bösen Blick geschützt war. Am vierzigsten Tag würde der Kleine aus seinen Bandagen befreit, vom obersten der Eunuchen kahl rasiert und mit einem seidenen Hemdchen, einer Mütze aus golddurchwirktem Stoff und allerlei Schmuck bekleidet.
Nicht so Salimas Sohn. Teils, weil Teresa von derlei Aberglauben nichts wissen wollte und ihr versicherte, der Kleine würde auch ohne die stramme Umwicklung nicht krumm und buckelig geraten; teils, weil Salima fest entschlossen war, die alten sansibarischen Zöpfe abzuschneiden, wo es nur ging.
Auch die Zeremonie, in der Kinder, die schon allein sitzen konnten, in einen mit Decken und Kissen ausgeschlagenen Wagen platziert und mit Puffmais und Silbermünzen überschüttet wurden, damit eine Kinderschar sich an Knabberei und Kostbarkeit bereichern und auf diese Weise diesen großen Schritt in der Entwicklung des Kleinen feiern konnte, würde es für ihren Sohn nicht geben.
Ihr Sohn, der im März noch immer namenlos war und ungetauft.
Sonntags, nach dem Gottesdienst, kam der Kaplan der Briten von seiner erst vor gut drei Jahren erbauten und vor zwei Jahren geweihten Kirche in das Haus der Macías und wischte nahezu alles, was Salima an Glaubensdingen von Teresa gelernt hatte, beiseite. Denn die Macías waren Katholiken; Kaplan Lummins, der sie taufen sollte, Anglikaner. Obwohl Lummins Teresa und Bonaventura Macías schätzte, war er auf deren Glauben nicht gut zu sprechen.
Salima war ihm eine eifrige Sonntagsschülerin, wenn sie auch vieles in der Heiligen Schrift grausam und brutal fand und ihr nicht alles nachvollziehbar erschien. Doch es war Heinrichs Glaube, der Glaube, in dem ihr Sohn aufwachsen sollte, und Salima war willens, diesen anzunehmen.
Über dem Taufbecken der Christ Church von Aden taufte Kaplan Lummins am 1. April 1867 schließlich im Beisein der Paten Teresa und Bonaventura Macías den Sohn von Heinrich Ruete und Prinzessin Salmé bint Sa’id, geboren zu Aden den 7. Dezember 1866, auf den Namen Heinrich.
»Schau mal, was ich da habe … Was ist das? Das ist ein Ball .«
Salima versetzte der Kugel aus rotem Gummi, etwas größer als eine Männerfaust, einen Schubs, dass sie über den Teppich kullerte, dem kleinen Heinrich zwischen die nackten speckrolligen Beinchen.
»Babbwabb«, machte er und tatschte auf dem Ball herum. »Hööh-hh«, schnaufte er dann und rutschte auf dem dicken Windelpolster unter dem losen Gewand ein Stückchen vorwärts.
Salima, wie immer im Inneren des Hauses barfuß, raffte ihre Röcke und kniete sich hin, kitzelte ihren Sohn in der pummeligen Kniekehle, rollte den Ball mit der hohlen Hand wieder zu sich heran und ließ ihn erneut mit einem aufmunternden Laut zu dem Kleinen hinüberkullern. Der schenkte ihr dafür ein hinreißendes Lächeln, das sein pausbäckiges Gesicht in die Breite zog. Die Hitze des späten Mai schien ihn nicht weiter zu stören.
»Gefällt dir das? Gefällt dir der Ball? Ja?«, lockte sie ihn, was klein Heinrich mit einem ohrenbetäubenden Kreischen beantwortete, das alle anderen Geräusche in und um das Haus der Macías einfach hinfortfegte. Der kleine Junge berauschte sich an seiner eigenen Stimme, hielt nur inne, um nach Luft zu schnappen, mit den wie auf die dicken Ärmchen aufgeschraubt wirkenden Händchen wedelnd.
»Bibi.«
Ein flüchtiger Blick zur Tür hin, und Salima versteinerte mitten in der Bewegung. Das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken.
Einen entsetzlich langen Moment wusste sie nicht, was sie mit ihren Armen und Beinen anstellen musste, um in die Höhe zu kommen. Salima sah nur Heinrich, verschwitzt und sonnengebräunt, Haar und Bart zu Rotgold gebleicht, sein heller Anzug staubig und grauschlierig vom Dunst des schwarzen Gesteins, der hier in
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