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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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möglich abzumarschieren, als könnte sie mit jedem Schritt ihre Vergangenheit weiter hinter sich bringen, als könnte sie so Heinrich näher kommen, das alles ließ allmählich nach. Teils, weil die Monate Oktober und November einen heftigen, klatschenden Regen brachten, der die Zisternen oben auf dem Krater und unten in der Stadt füllte; teils, weil das Kind in ihrem Leib wuchs. Zu einer Last, an der sie schwer trug und die sie dennoch mit Seligkeit erfüllte.
    Ihre Unrast war einer stillen Zufriedenheit gewichen, mit der sie die Tage im Hause der Macías verbrachte, rund und breit in einem der klobigen Sessel lagernd, die geschwollenen Füße auf einen gepolsterten Hocker gebettet. Sie, die nie die Geduld noch die Fingerfertigkeit für Handarbeiten besessen hatte, nähte und häkelte unter Teresas kundiger Anleitung Hemdchen, Mützchen und Schühchen nach europäischer Manier. Und ein Säckchen aus mohnroter Seide nähte sie, das sie mit bunten Garnen in sansibarischen Mustern bestickte und in das sie den Sand von Sansibar umschüttete, den sie in Heinrichs Taschentuch mitgebracht hatte. Teresa erklärteihr auf Suaheli das Wesen des christlichen Glaubens, las ihr die Briefe vor, die Heinrich aus Sansibar ebenfalls auf Suaheli schrieb, und sorgte dafür, dass Salimas arabische Antworten – von denen sie hoffte, Heinrich würde sie entziffern können – auf die weite Reise gingen. Sie lehrte Salima die ersten Worte auf Englisch und die dazugehörigen lateinischen Buchstaben, mit denen Salima sich abmühte und an denen sie beinahe verzweifelte.
    All diese kleinen Tätigkeiten, wie mühselig sie auch waren, verkürzten ihr das Warten.

    »Teresa.« Salima trommelte mit einer Hand hastig an die geschlossene Tür, während sie die andere Hand in die Seite stützte. »Teres…« Ihre Stimme versagte, als sie unter der nächsten Wehe nach Luft schnappte. Salima keuchte und lehnte die schweißnasse Stirn gegen den Türrahmen. »Teresa«, wimmerte sie.
    Die Tür ging ein Stück weit auf. Die sonst munter funkelnden runden Augen der Spanierin waren verschlafen zu Schlitzen zusammengekniffen, und ein paar grau gesträhnte Locken ringelten sich unter dem Rüschensaum der Schlafhaube hervor. Teresa Macías blinzelte, riss dann die Augen weit auf, im Nu hellwach.
    » Madre de Dios! Salima, hast du Wehen? Kind, warum hast du keine Dienerin geweckt?«
    Salima zog eine Schulter hoch, setzte zu einer Erklärung an – sie sind mir fremd, aber zu dir hab ich Zutrauen – und schluchzte sogleich unter der nächsten Woge von Schmerz auf.
    » Vamos, vamos! Zurück in dein Zimmer, ab ins Bett!«, befahl die Spanierin und stützte Salima. Mit einer Wendung des Kopfes schickte sie eine schnatternde Wortkanonade hinter sich in das Schlafgemach, die Bonaventura Macías’ Bassmit einer grunzenden, gleichförmigen Abfolge von »Sí. Sí. Sí.« bejahte.

    Salima ging in ihrem Gemach auf und ab, stöhnte kehlig tief aus dem Bauch, der ihr vorkam wie ein tiefer Brunnen, ebenso hart gemauert und abgründig. Und voll, übervoll mit dem Kind, das sich Zeit ließ auf seinem Weg in die Welt. Sie jammerte und klagte ihren Schmerz hinaus, weinte heiße Tränen und begrüßte doch jeden dornigen Schritt auf diesem Weg. Ungehalten wehrte sie Teresas Hände ab, die sie ins Bett zwingen wollten. Bis ihre Beine zitternd nachgaben, bis sie keine Kraft mehr hatte und sich willenlos auf die Matratze drücken ließ. Das ist der Preis , schoss es ihr durch den Kopf, als Welle um Welle der Pein durch sie hindurchzog; ein Schmerz wie Feuer, der keinem Schmerz glich, den sie in ihrem Leben je erfahren hatte. Das ist der Preis für die Erfüllung meines Begehrens. Für all die Seligkeit.
    Sie schrie – nach Heinrich, nach ihrer Mutter, nach ihrem Vater, sogar nach Majid und nach Chole. Sie betete wortlos und bat um Erlösung. Aber niemand, niemand kam. Teresa und die einzige Hebamme Adens, der schließlich herbeigeholte Arzt waren für Salima eins mit den unbelebten Gegenständen im Raum: nutzlos und fern. Allein und verloren, wie sie war, gefangen in der Zeit, während es vor dem Fenster hell wurde und der neue Tag voranschritt. Es gab kein Zurück mehr und kein Vorwärts. Nur ein schmaler Durchlass irgendwo dazwischen, der Salima schließlich in Stücke riss.

    Ihre bleischweren Lider hoben und senkten sich, hoben sich wieder. Schemen, verschwommen nur, die sich zögerlich aufklarten. Teresa girrte und purrte, verteilte schmatzende Küsschen und summte ein

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