Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
paar Takte einer weichen, zärtlichen Melodie. Legte ihr ein Stoffbündel in den kraftlosen Arm,und Salima musste es sehr lange ansehen, bis sie erkannte, dass es ein Neugeborenes war, runzlig noch und zerknittert. Die Augen hinter dicken Falten verborgen und ein Mündchen, das sich zu einer Schnute vorschob, dann aufging zu einem vollkommenen runden »O«, als wollte es seiner Verwunderung Ausdruck verleihen.
Ein hoher, dünner Laut entfuhr Salima, vor Ungläubigkeit und Erstaunen ebenso wie vor Entzücken. Sie verstummte, überwältigt von dem vollkommenen Glück.
Kein Preis war zu hoch dafür.
Vorsichtig drückte sie dieses Menschlein an sich, dieses Leben, das so jung war und so zerbrechlich.
Nichts, was ich getan, nichts, was ich aufgegeben und erlitten habe, nichts war mir je so kostbar wie dieses kleine Wesen.
Ihr Kind. Das Kind von ihr und von Heinrich.
36
Ein Wunder war geschehen, wie Salima oftmals dachte, wenn sie ihren Sohn in den Armen hielt. Ein Wunder.
Ein Wunder, das sie mit Ehrfurcht erfüllte. Ein Wunder, das ihr zunächst nicht ganz geheuer war. Wie konnte ihr Leib etwas hervorgebracht haben, das aus ihr und Heinrich entstanden und das dennoch ein ganz eigenes, von ihr getrenntes Geschöpf war? Mit eigenem Willen, eigener Sprache, Gestik und Mimik, die sie nicht verstand und die sie erst lernen musste.
So viele Kinder hatte sie aufwachsen sehen. In Mtoni, in Beit il Sahil, auf Kisimbani. Salima hatte geglaubt, das nötige Wissen zu besitzen, sie glaubte, sie habe sich bei all den Müttern und Ammen genug abgeschaut. Und nun begriff sie, dass einem das eigene Kind eine Zeit lang fremd blieb und dass man es sich erst vertraut machen musste. Salima hatte ihren Sohn zwar zur Welt gebracht, aber zu seiner Mutter wurde sie erst nach und nach. Tag für Tag, Nacht für Nacht wob sie emsig an dem Band zwischen ihr und dem Kleinen. Und oft verspürte sie eine nagende Eifersucht, wenn ihr Sohn an der Brust seiner indischen Amme lag, die Teresa ausgewählt hatte. Doch bis Salima den Mut aufgebracht hatte, sich gegen die Sitte zu stellen und ihren Sohn selbst zu stillen, war ihre Milch bereits versiegt.
Ihr Sohn war der Sinn in diesem Leben auf Abruf, das sie hier in Aden führte.
Den ganzen Dezember hindurch und den Januar. Während Salimas und Heinrichs Sohn wuchs und schwerer wurde, weinte oder ihr ein selig machendes Lächeln schenkte, erst quietschte, kiekste, gurgelte, später lallte und brabbelte; während seine Züge, seine Vorlieben und Abneigungen sich laufend veränderten, als sei er aus dem Stoff des Ozeans geschaffen und ebenso wandelbar.
Im Februar, als ein Brief von Heinrich sie erreichte, in dem er ihr schrieb, dass er sich auf die in britischer Hand befindlichen Seychellen, östlich von Sansibar gelegen, aufmachte, um für seine eigene Handelscompagnie Ruete & Co. Kaurimuscheln zu erwerben. Dort in Massen vorhanden und nahezu umsonst zu haben, waren die eiförmigen, weißen bis strohgelben und porzellanähnlichen Häuser der Kaurischnecke im Westen Afrikas selten. So selten, dass sie dort begehrt waren wie das erlesenste Geschmeide und somit ein geschätztes Zahlungsmittel, das sich gegen andere Waren eintauschen ließ. Für Händler, die Kauris von den Seychellen nach Afrika brachten, ein einträgliches Geschäft, das Heinrich sich nicht entgehen lassen wollte. Er schrieb nicht, wann genau sie mit seiner Ankunft rechnen konnte, nur, dass er so schnell wie möglich käme.
Es war nicht so, dass Salima sich allein fühlte; in der bunt gemischten Gesellschaft Adens reihte sie sich mit ihrem halb arabischen, halb tscherkessischen Gesicht, mit ihrer europäischen Kleidung nahtlos ein, schloss dank ihrer offenen, unverstellten Art schnell Bekanntschaften, und ihr süßer kleiner Sohn, der viel lachte und selten fremdelte, trug das Seine dazu bei.
Doch erst in Aden verstand Salima, was Heinrich und sie miteinander verband. Wie tief es ging und wie stark es war.Hatte sie auf Kisimbani die Stunden abzählen können, bis er sie wieder in die Arme schloss; hatte sie ihn in ihrem Haus in der Steinstadt von Sansibar zumindest im Haus gegenüber gewusst, nahm sie hier in Aden überdeutlich die Leere wahr, die seine Abwesenheit schuf. In den Nächten, wenn ihr Leib sich nach dem seinen verzehrte, als litte jede Faser in ihr Hunger und Durst zugleich. An den Tagen, wenn sie sich nach seiner Stimme, nach seinem Lachen sehnte und sich mit Erinnerungen begnügen musste.
Es war mehr als eine
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