Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
all die Formeln und Wendungen zu verstehen. Als Kaplan Lummins das Wort an sie richtete, wartete sie einfach, bis er geendet hatte und sie fragend ansah. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Yes!«
Und der Kaplan erklärte Heinrich und sie zu Mann und Frau.
Drittes Buch
Emily
1867 – 1872
Neuland
Mir scheint, einer der glücklichsten Momente im Leben eines Menschen ist der Aufbruch zu einer weiten Reise in unbekannte Länder.
Richard Francis Burton
37
Rotes Meer, Juni 1867
Ein neuer Name. Ein neues Leben.
Die junge Frau, die vor bald dreiundzwanzig Jahren auf Sansibar als Sayyida Salima bint Sa’id zur Welt gekommen war, die man auf der ganzen Insel und mittlerweile darüber hinaus als Bibi Salmé kannte, getaufte Emily, verheiratete Frau Ruete, stand an der Reling des Dampfers. Allein.
Die Sonne brannte vom gläsernen Himmel herab, drohte beinahe Holz und Eisen des Schiffes zu schmelzen. Selbst die großflächigen Segeltücher, die man über das Deck gespannt hatte, boten keinen Schutz vor dieser grellen Glut. Der Schattenfleck darunter war blass, und es war trotz des Fahrtwinds stickig. Wie ein aus Hitze gemeißelter gräulicher Block, der das Atmen erschwerte und der einem, auch wenn man sich nicht bewegte, den Schweiß aus den Poren strömen ließ. Deshalb verbrachten die Passagiere die Stunden ab der Mittagszeit unten im Salon, durch dessen geöffnete Fenster und Luken wenigstens ein Hauch von Kühle über sie hinwegstrich.
Sogar Emily Ruete, die das heiße, dampfende Klima ihrer Heimat von Kindheit an gewohnt war, fühlte sich unwohl. Dennoch hatte es sie aus dem Salon hierhergezogen, vorallem, weil ihr Unwohlsein nicht allein von der drückenden, verbrauchten Luft im Inneren des Dampfers herrührte.
Während unter ihr am Kiel des Dampfers das Meer zischend aufschäumte, das trotz seines Namens kein bisschen rot war, sondern wie ein besonders prächtiger Samt in leuchtendem Blau und Türkis schimmerte, vergaß sie ihr Gefühl des Unwohlseins und betrachtete staunend die Küste Afrikas, die vorüberglitt, sandig, felsig in Rostrot, in staubigem Ocker und in warmem Grau. Derselbe Kontinent, den sie von der bendjle Beit il Mtonis aus gesehen hatte und durch ihr Fernrohr auf Bububu – und doch schien sich mit jeder Meile, die das Schiff seinem Ziel entgegenstampfte, eine ganz neue Welt vor Emily aufzutun, die als Salima nie über Sansibar hinausgekommen war. Doch Salima gab es nicht mehr, und Emily Ruete stand nun die gesamte Welt offen.
»Da bist du ja.« Sie drehte sich um, als sie Heinrichs Stimme hörte, und sein Anblick genügte, um ein Lächeln auf ihr Gesicht zu schicken. »Ist dir nicht zu heiß hier oben?« Er küsste sie sanft auf die Stirn.
Emily zuckte leicht mit den Achseln.
»Die Reise bekommt dir nicht sonderlich, nicht wahr?«, hakte Heinrich behutsam nach. »Du siehst blass aus – du nimmst ja auch so wenig zu dir. Schmeckt dir das Essen nicht?«
Dies wäre ein Moment gewesen, Heinrich zu erzählen, wie unangenehm es ihr war, gemeinsam mit fremden Frauen und vor allem mit fremden Männern an einem Tisch im Salon zu sitzen und die Mahlzeiten einzunehmen. Dass während der Mahlzeiten auch etwas getrunken wurde anstatt erst danach, wie auf Sansibar üblich – das konnte sie als fremden Brauch hinnehmen; doch es fiel ihr schwer, sich daran zu gewöhnen, dass zuvor begonnene Gespräche während des Essens einfach fortgesetzt wurden und nie abbrachen. Das fortwährendevielstimmige Geplauder, das zu einem beständigen Hintergrundrauschen wurde, störte sie, die während des Essens Schweigen gewohnt gewesen war, später, in Aden, allenfalls den Mezzosopran Teresas und Bonaventuras Bass. Obwohl sie sich im Hause der Macías im Gebrauch von Messer und Gabel geübt und obwohl Teresa ihr mehrmals versichert hatte, niemandem würde auffallen, dass Besteck in den Häusern und Palästen des Sultans nur hervorgeholt und benutzt worden war, wenn sich europäischer Besuch ankündigte, fürchtete Emily, sich durch ungeschickten Umgang damit zu verraten und für unzivilisiert gehalten zu werden.
Wesentlich schwerer wog für sie jedoch, was ihnen morgens, mittags und abends im Salon vorgesetzt wurde. Es roch zwar gut und schmeckte bestimmt auch so, doch wie konnte sie sicher sein, dass das Fleisch, das Fett, in dem das Gemüse gesotten war, nicht vom Schwein stammte? Als frisch getaufte Christin sollte sie das zwar nicht kümmern; trotzdem schwappte allein bei dem Gedanken daran Ekel in ihr hoch.
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