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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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leuchten schien, war auch der Innenhof gepflastert, und ein steinerner, gleichwohl zierlicher Pavillon beschattete das Becken mit dem Wasser für die rituellen Waschungen. Emily bewunderte all die Säulen und Bogen, legte den Kopf in den Nacken, um die gewaltige Kuppel bestaunen zu können, umgeben von ihren etwas kleineren, nichtsdestoweniger beeindruckenden Schwestern und flankiert von zwei pfeilergleichen Minaretten, deren Spitzen den Himmel ritzten. Nun verstand Emily, weshalb Heinrich sie gebeten hatte, einen Schal mitzunehmen, und sittsam verhüllte sie damit ihr aufgestecktes Haar und ihr Gesicht.
    Am Eingang wurden sie von einem Wächter erwartet, der sie freundlich begrüßte, bis Emily – der alten Gewohnheit folgend – aus den Schuhen schlüpfen wollte.
    » Nonono, forbidden – neinneinnein, verboten«, radebrechte er in rollendem Englisch und fuchtelte abwehrend mit den Händen. Er deutete auf eine Ansammlung grauer Filzpantoffeln und erklärte in ausgreifender Pantomime, dass diese über die Schuhe gezogen werden müssten. Gehorsam stiegen Emily und Heinrich jeweils in ein Paar dieser Überschuhe, schlappten und schlitterten darin über den glatten Boden.
    »Verzeiht«, wandte sich Salima auf Arabisch an den Wächter. »Wozu dienen diese Pantoffeln? Dieser Brauch war mir bislang unbekannt.«
    Die struppigen Augenbrauen des Fremdenführers hoben sich, dann kniff er die Augen zusammen und musterte Emily streng über seine markante Nase hinweg. Verlegen zupfte sie an ihrem Schal herum für den Fall, dass ihr Gesicht nicht der Sitte entsprechend verhüllt wäre und sie damit sein Missfallen erregt hätte.
    »Allen Besuchern der Moschee«, erklärte er würdevoll in seinem abgeschliffenen ägyptischen Arabisch, »die nicht unseres Glaubens sind, ist es strengstens untersagt, ohne diese Pantoffeln einzutreten. – Bitte, hier entlang.« Sein ausgestreckter Arm wies ihnen die Richtung, in der sie ihm folgen sollten.
    Emily war wie betäubt.
    Gewiss, sie war getauft, dem Namen nach eine Christin, aber erst jetzt, in diesem Augenblick, hatte sie wahrhaftig begriffen, welches Opfer sie gebracht hatte. Für Heinrich. Für ihren Sohn. Für ihre Liebe und für ihre Freiheit. Dem Islam nicht mehr zugehörig, hatte sie im Christentum noch lange keine neue Heimat – sofern sie das überhaupt je haben würde. Nicht Majid hatte ihre Wurzeln gekappt – sie selbst hatte es getan. Als sie sich ohne große Gewissensbisse einemfremden Gott anvertraut hatte, von dem sie nicht allzu viel wusste und für den sie noch weniger ein Gefühl besaß. Die dicken roten Teppiche, über die sie an Heinrichs Seite ging, nahm sie ebenso wenig wahr wie die kurzen Erläuterungen ihres Fremdenführers oder das intensive Smaragdgrün im Inneren, die Goldverzierungen, die im Schein der Öllampen glänzten. All der Schimmer, die mächtige, bewegende Schönheit zur Lobpreisung Allahs glitten an ihr ab.
    »Hat es dir nicht gefallen?«
    Heinrichs Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken auf, als sie nach der Besichtigung wieder den Hügel hinabschritten. Die hörbare Enttäuschung darin beschämte sie.
    »Doch.« Sie zerrte den Schal herunter und ließ ihn immer wieder durch ihre Hände gleiten.
    Er sah sie zweifelnd an, während sie weiterwanderten, mit dem Knirschen von trockener Erde, Sand und Steinen unter ihren Sohlen und dem Klacken der Absätze und dem Rascheln von Emilys Röcken als einzigem Geräusch.
    »Fehlt dir etwas?«, ergriff er nach einer Weile erneut das Wort.
    »Nein. Nichts.«
    »Warte.« Er nahm sie vorsichtig beim Arm, zwang sie so, mit ihm zusammen stehen zu bleiben. »Ich kenn dich doch, Bibi Salmé. Mit dir ist doch etwas?« Seinen letzten Satz hatte er als behutsame, besorgte Frage gestellt.
    Emily biss sich auf die Lippen und konnte es dennoch nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen.
    Wie hätte sie ihm erklären können, was in ihr vorging? Ihm, der wohlbehütet und sicher war in dem Glauben, in dem er auch aufgewachsen war. Ein Glaube, der für Emilys Begriffe sein Leben bei Weitem nicht derart durchdrang, wie es der Islam mit ihrem bisherigen getan hatte.
    Zum ersten Mal, seit sie Heinrich kannte, spürte sie, dassetwas sie trennte. Etwas, das breiter war und das tiefer ging als die Gasse, die ihre Häuser in der Steinstadt von Sansibar voneinander getrennt hatte. Ja, Heinrich kannte sie, und sie kannte Heinrich und wusste, er würde sich schuldig fühlen, wenn sie ihm anvertraute, was sie empfand,

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