Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
überlassen, damit Sie eine neue Praxis eröffnen können.«
Ricarda war vollkommen überrascht. »Meinen Sie das ernst?«
»Sehe ich so aus, als würde ich leere Versprechungen machen?«, fragte Manzoni. »Meine Leute und ich würden dafür sorgen, dass es sich in Tauranga herumspricht. Ich bin sicher, dass die Frauen, die Sie bereits behandelt haben, Sie auch weiterhin konsultieren möchten. So weit entfernt von der Stadt liegt mein Anwesen ja gar nicht.«
Ricarda war so überwältigt von dem großzügigen Angebot, dass sie zunächst keinen Ton herausbrachte.
»Das ist unmöglich, Jack«, stammelte sie schließlich. »Ich stehe auch so schon tief in Ihrer Schuld, und beinahe alles, was ich hatte, ist in den Flammen untergegangen. Deshalb werde ich mir kaum eine neue Praxis leisten können. Außerdem werde ich an den Hausbesitzer Schadensersatz zahlen müssen.«
»Nicht, wenn man die Kerle erwischt, die Sie überfallen haben«, gab Manzoni zurück. »Und ich verspreche Ihnen, ich werde den Constables so lange in den Ohren liegen, bis ihre Ermittlungen erfolgreich waren.«
»Trotzdem müssen Sie Miete für das Gebäude bekommen.«
Jack blickte sie an. Er wäre nur zu gern bereit gewesen, ihr die Räumlichkeiten umsonst zu überlassen. Dass sie in seiner Nähe war, wäre Lohn genug. Aber da er Ricarda mittlerweile ziemlich gut kannte, wusste er, dass sie nur ungern etwas schuldig blieb. »Können Sie Klavier spielen?«, fragte er deshalb.
Ricarda war einmal mehr überrascht. »Warum fragen Sie?«
»Können Sie es oder nicht?«
Ricarda erinnerte sich nur ungern an die Klavierstunden, die ihre Mutter ihr aufgezwungen hatte. Aber ihre Musiklehrerin war stets mit ihr zufrieden gewesen. Sie hatte das Spielen bestimmt nicht verlernt, obwohl sie es lange nicht mehr getan hatte. Wollte Manzoni, dass sie seine Abendunterhaltung bestritt?
»Ja, ich kann spielen«, entgegnete sie. »Aber erwarten Sie keine Meisterleistungen von mir. Ich habe schon lange nicht mehr geübt.«
»Das können Sie bei mir nachholen. Und Sie könnten mir Unterricht geben. Im Salon steht ein altes Klavier, aber ich weiß nichts damit anzufangen. Meine Großmutter und meine Mutter haben darauf gespielt. Die Familie meiner Großmutter mütterlicherseits war eine Musikerfamilie, und das Klavier wurde von Generation zu Generation weitervererbt.«
»Und Sie möchten diese Tradition nun fortsetzen?«
»Ja. Als Junge hatte ich leider kein Interesse am Klavierspiel, was ich heute sehr bedauere, denn ich liebe die Musik! Wenn man den ganzen Tag das Summen von Insekten, das unterschiedliche Zwitschern der Vögel in den Bäumen und das Blöken der Schafe hört, sehnt man sich nach einer Harmonie, die nicht der Natur entstammt, sondern einem Instrument. Ich will nicht behaupten, dass die natürlichen Geräusche schlecht sind, aber ein Klavierstück dann und wann macht den Kopf wieder frei. Verstehen Sie, was ich meine?«
Ricarda nickte. »Einverstanden, ich werde Sie unterrichten«, versprach sie. »Aber erwarten Sie keine Wundertaten von mir.«
Manzoni lächelte verschmitzt. »Doch, die erwarte ich von Ihnen. Vielleicht nicht in der Musik, aber auf anderen Gebieten. Wir sind also im Geschäft?«
Er drückte ihre Hand.
Erst da wurde Ricarda bewusst, dass er sie noch immer hielt. Seltsam, dachte sie, es fühlt sich so selbstverständlich an. Plötzlich wurde ihr ganz warm ums Herz. »Einverstanden. Ich freue mich darauf.«
Manzoni zwinkerte ihr aufmundernd zu. »Sobald Sie sich stark genug fühlen, schauen wir uns Ihre neue Praxis an. Sie werden sehen, in einigen Wochen rennen Ihnen die Patienten wieder die Bude ein.«
Die Feststellung, dass sie sich stark genug fühlte, traf Ricarda bereits am nächsten Morgen. Die ganze Nacht über hatte Jacks großzügiges Angebot ihr keine Ruhe gelassen. Sie wollte wieder praktizieren! Die Narben schmerzten zwar noch, aber das konnte sie ertragen. Sie wollte endlich wieder auf eigenen Füßen stehen!
Da sie hörte, dass Jack zu Hause war, erhob sie sich kurzerhand aus dem Bett. Ihre Beine zitterten noch ein wenig, aber davon ließ sie sich nicht abhalten. Auch das Gehen war noch ein wenig mühsam und brachte die Narben zum Pochen. Aber sie hatte ein Ziel vor den Augen, und auf das wollte sie zulaufen. Sie kleidete sich in ihren silbergrauen Rock und schlüpfte in eine weiße Bluse. Vollkommen unbewusst legte sie ihr Stethoskop um den Hals, wie es sich für eine Ärztin gehörte. Es hatte in den Wochen der
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