Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
hinübergeglitten. Seine Atemzüge tönten ruhig durch den Raum.
Ricarda legte sich neben ihn auf das Bett und betrachtete voller Zärtlichkeit sein Gesicht. Dann riss sie sich los und stand auf.
Noch immer stand sie ganz unter dem Eindruck des Wunders, das Moana bewirkt hatte. Wenn die Götter wirklich gnädig auf die Heiler und Heilerinnen herabsahen, dann hatte Moana es verdient. Kein Wunder, dass sie ein hohes Ansehen, mana, in ihrem Stamm genoss.
Auch ich möchte einmal so viel Ansehen genießen, dachte Ricarda, während sie den Ärmel ihres Kleides so weit hochkrempelte, dass die Tätowierung sichtbar wurde. Nachdem die Rötung abgeklungen war, wirkte das Muster, als sei es in ihre Haut geschnitzt worden.
In dieser Nacht schlief Ricarda wie ein Stein. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, zwischendurch nach Jack zu sehen, wachte sie nicht auf.
Am nächsten Morgen klopfte Kerrigan nach dem Frühstück an die Tür. »Wie geht es ihm?«, fragte er.
»Er ist gestern kurz aufgewacht und schläft sich nun aus«, erklärte Ricarda.
Ein erleichterter Ausdruck trat auf Kerrigans Gesicht. »Das haben wir wohl der Zauberin zu verdanken, was?«
Ricarda nickte ernst. »Man sollte die Heiler der Maori nicht unterschätzen.«
»Da sagen Sie was, Doc! In meiner Heimat gibt's auch Medizinmänner, die einem sogar Krankheiten aus den Knochen ziehen, die die gelehrten Doktoren nicht mal kennen.«
Vielleicht ist es dann an der Zeit, dass ich diese Krankheiten ebenfalls behandeln lerne, ging es Ricarda durch den Sinn.
Am späten Vormittag wachte Jack auf. Ricarda hatte wieder neben seinem Bett Platz genommen und wollte sich gerade davonstehlen, um nachzusehen, ob sich Patienten für sie eingefunden hatten.
»Bleib noch ein bisschen bei mir.«
Ricarda war bereits an der Tür und blieb wie angewurzelt stehen.
»Jack«, hauchte sie, lief zurück zu seinem Bett und küsste ihn sanft. »Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist.«
»Ich war doch nie fort!«
»Doch, das warst du. Deine Seele war fort. Moana glaubt, dass es ein Fluch war.«
»Wer sollte mich schon verfluchen wollen?«
Bessett zum Beispiel, hätte sie beinahe geantwortet, doch dann beschloss sie, ihn noch nicht mit der Todesnachricht zu konfrontieren.
»Doherty hat dich übrigens operiert. Ich habe dich anschließend hergeholt.«
Jack streckte seine gesunde Hand nach ihr aus und strich ihr über die Wangen. »Du hast dich tatsächlich in die Höhle des Löwen gewagt?«
»Ich wollte nicht, dass er dich weiter behandelt. Das wird mir wahrscheinlich noch Ärger einbringen, aber das ist mir egal.«
Jack zog sie vorsichtig an sich. Die Wunde schmerzte ihn, aber das hielt ihn nicht davon ab, Ricarda zu küssen.
»Ich habe übrigens eine Überraschung«, sagte sie, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten. Sie öffnete ihr Kleid, schob es von der Schulter und zeigte ihm die Tätowierung.
Jack schmunzelte. »Jetzt werden dich in Europa alle entweder für einen Seemann oder für ein Freudenmädchen halten.«
»Ich habe nicht vor, dorthin zurückzukehren«, entgegnete sie. »Trotz aller Widrigkeiten ist dieses Land jetzt meine Heimat. Und das liegt vorrangig an dir.«
Damit küsste sie ihn erneut und erhob sich vom Bett.
»Es war Borden«, sagte Jack unvermittelt, als sei er plötzlich von einer Erinnerung übermannt worden.
Ricarda wirbelte verwundert herum. Bevor sie fragen konnte, gab er ihr auch schon die Antwort.
»Er hat auf mich geschossen.«
»Warum sollte er das tun?«
»Ich hab es dir nie erzählt ...«, begann er.
Seine Stimme klang noch immer schwach. Ricarda wollte ihm schon raten, besser nichts zu sagen, doch er hätte sich gewiss nicht abhalten lassen.
»Kurz nachdem ich dich hergebracht hatte, war ich in der Stadt. Ich habe deine Sachen abgeholt und bin auf Borden getroffen. Da ich davon überzeugt war, dass er hinter dem Brand deiner Praxis steckt, bin ich auf ihn losgegangen und habe ihn ins Wasser befördert.«
»Du hast was?« Ricardas Frage war kaum mehr als ein Flüstern. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund.
»Ich hab ihm 'ne Tracht Prügel verpasst. Ich habe mir gedacht, wenn er schon keine andere Strafe kriegt, soll er wenigstens wie ein nasser Hund nach Hause kriechen. Aber anstatt sich ehrlich mit mir auseinanderzusetzen, schießt er mir feige in den Rücken. Ich wollte gerade zu Bessett.«
Mit dem letzten Wort sank er in die Kissen zurück.
Ricarda rang mit sich.
Soll ich es ihm erzählen oder nicht?
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