Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
dort Gautier an, der nackt auf ihrem Bett lag. Yr lächelte und schloß die Tür hinter sich.
5 S IGHOLT
Axis stand allein auf dem Bergfried der Garnison von Sigholt und ließ sich den Wind durchs Haar wehen. Die Hände auf die uralten Zinnen der Burg gestützt, schaute er nach Norden und kniff die Augen gegen die heftigen Böen zusammen. Am Horizont konnte er einen kleinen dunklen Fleck ausmachen, die Eisdachalpen. So kalt die Luft auch sein mochte, so belebend wirkte sie doch auch, und der Axtherr schloß die Augen und atmete sie tief ein. Bei seinen früheren Unternehmungen war er nie weiter als bis nach Aldeni gekommen. Jayme hatte ihn wohlweislich von Ichtar ferngehalten. Der Anblick des fernen Hochgebirges erfüllte ihn nun mit Begeisterung.
»Die Fürstin hat hier immer gern gestanden, genau dort, wo Ihr Euch jetzt gerade aufhaltet«, sagte eine leise Stimme hinter ihm. Der Krieger öffnete die Augen und sah sich einem alten Mann gegenüber.
Reinald, der ehemalige Oberkoch der Garnison, lächelte Axis freundlich an. Seine müden alten Augen tränten im Wind, und auf seinem kahlen Schädel spiegelte sich das Herbstsonnenlicht, das kaum seinen Weg durch die Wolkendecke fand.
»Damals diente ich als Hilfskoch, Axtherr, und zu meinen Aufgaben gehörte es, die Zubereitung der Mahlzeiten für die Herrin zu beaufsichtigen. Im Sommer und auch in den ersten Herbstwochen kam sie gern hier herauf. Die Küchengehilfen und ich mußten dann all die Stufen hinaufsteigen. Mit heißen Töpfen, scharfen Messern und kostbarem Porzellan und Kristall. Jeden Tag drei Mal. Und wehe, wir haben etwas verschüttet oder zerbrochen.«
Der Krieger grinste. »Gewiß habt Ihr die Fürstin mehr als einmal verflucht.«
»Ach«, erinnerte sich Reinald, »Eurer Mutter konnte man eigentlich nie richtig böse sein.« Der alte Koch war nach Faraday der erste, dem es nichts auszumachen schien, daß Axis Rivkah zur Mutter hatte. »Sie konnte so hübsch lächeln, hat sich immer wieder für die Umstände entschuldigt, die sie uns mache, und uns oft genug eingeladen, neben sie an die Brüstung zu treten und die Aussicht zu bewundern, die sie so in Entzücken versetzte.«
»Und welche Aussicht war das?«
Reinald trat wie damals neben die Herrin jetzt neben deren Sohn. »Natürlich die Eisdachalpen, Axtherr. Rivkah hat gern mit uns gescherzt. Ralf, der jüngste von den Küchenjungen, litt an Höhenangst, und wenn er an den Zinnen stand und nach unten blickte, wurde er im Gesicht ganz grün. Darüber hat die Fürstin immer sehr gelacht und ihm gesagt, eines Tages würde sie von hier oben fortfliegen. Bis zu den Alpen, dann würde sie niemals wieder jemand zu Gesicht bekommen. Ich stelle mir gern vor, Herr, daß ihre Seele genau das tat, nachdem sie bei Eurer Geburt das Leben verloren hat. Mir verschafft seitdem die Vorstellung Trost, daß die Fürstin damit endlich die Freiheit hatte, die Berge zu besuchen, nach denen sie sich immer so sehr sehnte. Damals, als Ihr das Licht der Welt erblicktet, hielt sie sich noch näher am Gebirge auf.«
Axis fiel darauf nichts zu sagen ein. Er schwieg. Manchmal erfuhr man Freundlichkeit und Trost, wenn man sie am wenigsten erwartete. »Vielen Dank, Reinald«, murmelte er schließlich ergriffen und blickte wieder hinaus zu dem dunkelroten Fleck am Horizont. »Man kann die Alpen auf diese Entfernung nicht besonders gut erkennen.«
»Im Sommer sieht man sie an einem klaren Tag so deutlich, als seien sie nur wenige Meilen entfernt.«
»Meine Mutter muß in dieser Burg sehr unglücklich gewesen sein, wenn sie lieber davonfliegen wollte.«
Der Koch dachte nach. »Wenn Searlas zugegen war, fühlte sie sich wirklich nicht besonders glücklich. Aber wenn er verreiste, konnte sie wieder lachen.«
»Wenn mein richtiger Vater eintraf?« fragte Axis.
Reinald schwieg sehr lange und starrte hinaus auf die Eisdachberge. Er erinnerte sich an die furchtbaren Wochen, nachdem Herzog Searlas von seinem einjährigen Aufenthalt in Gorken heimgekehrt war und feststellen mußte, daß seine Frau im achten Monat schwanger war. Unwillkürlich blickte der Koch hinab auf seine Hände. Die Fingernägel waren nie wieder so recht nachgewachsen, nachdem der Burgherr sie ihm einzeln mit einer alten Küchenzange gezogen hatte. Nicht nur aus dem Hilfskoch hatte Searlas herausbringen wollen, wer der Vater des ungeborenen Kindes sei.
Trotz der Schmerzen, oder vielleicht auch gerade ihretwegen, hatte Reinald die Herrin jedoch nie verraten.
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