Sternenfall: Roman (German Edition)
dazu gebracht werden kann, mit Avalon zu kollidieren, vermindert sich sein Gesamtimpuls um 2,5 Tausendstel Prozent. Dadurch wird das Eintreffen des Kerns um 173 Sekunden hinausgeschoben, mehr als genug Zeit für Luna, sich in die Flugbahn des Kometen zu bewegen. Meine Berechnungen haben ergeben, dass der Aufprall nahe dem Korolew-Krater stattfinden wird, etwa sechshundert Kilometer östlich des Farside-Observatoriums.«
»Das hast du also die ganze Zeit über gemacht? Meine Rechnerei überprüft?«
»Ja, und außerdem versucht, eine andere Lösung zu finden. Damit bin ich kläglich gescheitert, Thomas. Alles, was ich versuche, erfordert mehr Energie, mehr Zeit oder mehr Mittel, als uns zur Verfügung stehen. Es ist komisch. In Diskussionen mit Kollegen habe ich oft von den unveränderlichen, allgemeingültigen Gesetzen der Physik gesprochen. Ich glaube, ich habe erst jetzt wirklich verstanden, was das bedeutet.«
»Dann stimmst du also darin mit mir überein, dass es notwendig ist, Donnerschlag auf Luna zu lenken, um die Erde zu retten?« Im Halbdunkel konnte Thorpe erkennen, dass Amber die dicken, runden Tränen im Gesicht standen, wie sie sich in der Schwerelosigkeit bildeten.
Sie sah ihn mit traurigen Augen an, die keine weiteren Tränen mehr produzieren konnten. »Ich stimme dir zu, Thomas. Ich stimme dir vom intellektuellen, professionellen, nüchtern analysierenden Standpunkt aus zu. Warum sträubt sich dann alles in mir gegen diesen Gedanken? Warum muss meine Welt sterben, damit deine gerettet wird?«
»Mach dir einmal klar, was du da gesagt hast, mein Liebes.«
Sie seufzte. »Ich weiß. Es läuft auf was anderes hinaus. Die Erde ist die Heimat der Menschheit. Sie muss gerettet werden, was immer es auch kostet. Die Zerstörung einer kleinen Nebenwelt wie Luna ist ein geringer Preis dafür. Das sind die Fakten, Thomas, nur ändert das nichts an meinen Gefühlen .«
»Mir ist auch nicht besonders wohl dabei. Ich kann bloß nicht erkennen, dass wir eine Wahl hätten. Zeig mir die Alternative, und ich will verdammt sein, wenn ich sie nicht ergreife!«
Sie beugte sich vor und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. »Mein armer Schatz. Du fühlst dich schuldig, nicht wahr?«
»Würde das nicht jeder tun?«
»Ich glaub schon«, sagte sie. »Ich glaube, wir beide brauchen Zeit, um das alles zu verdauen. Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mich eine Weile wieder in meine eigene Kabine zurückziehen.«
»Wenn du das unbedingt willst.«
»Ich will es nicht, aber es wäre besser für uns beide.«
»Und unsere Hochzeit?«
»Das ist im Moment wohl kaum wichtig, oder?«
»Für mich ist es wichtig.«
»Es wäre nicht fair, zu heiraten, solange ich in dieser Stimmung bin. Lass mir Zeit, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Bitte.«
»Ich glaube, mir bleibt da gar keine andere Wahl, oder?« Er schnallte sich vom Sitz los und stieß sich nach der Luke ab. Dann wandte er sich nach ihr um. Trotz ihrer Erschöpfung und des in der Kabine herrschenden Halbdunkels war sie immer noch die hübscheste Frau, die er je gesehen hatte. »Ich werde dir Zeit lassen. Die ganze Zeit, bis wir die Erde erreicht haben, wenn es sein muss. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da.«
»Danke«, sagte sie einfach.
Thorpe blickte zu dem blauweißen Planeten auf, der die Heimat von acht Milliarden unschuldiger Menschen war. Hinter ihr stand die silbergraue Kugel, auf deren Oberfläche weitere zehn Millionen Unschuldiger lebten.
»Ich wünschte, ich hätte nie von diesem gottverdammten Kometen gehört!«, brach es aus ihm heraus. Er schlug die Luke hinter sich zu.
Roland Jennings, dem Generalkonsul der Republik Luna in San Francisco, fiel es zu, die Antwort der Republik auf das zu überbringen, was die ›Avalon-Option‹ genannt wurde. Jennings Berater, Austin Branniger, begleitete ihn nach Den Haag zu dem Treffen mit Constance Forbin. Die beiden Männer wurden fünf Tage, nachdem Luna vom Plan erfahren hatte, Donnerschlag auf den Mond umzulenken, gegen Mitternacht in das Büro der Chefkoordinatorin gebeten.
»Konsul Jennings, Bürger Branniger«, sagte die Koordinatorin zur Begrüßung. »Es ist mir eine Ehre, zwei so bemerkenswerte Repräsentanten der Republik bei mir zu empfangen, selbst zu dieser späten Stunde. Bitte nehmen Sie Platz.«
»Wir möchten Ihnen für die Liebenswürdigkeit danken, dass Sie uns empfangen. Sie wissen natürlich, warum wir hier sind.« Trotz seines selbstbewussten Auftretens war Jennings so
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