Sternenfaust - 005 - Der Wächter
Szonans Seite.
Die Frau schrie, Blut spritzte, und in der nächsten Sekunde sah Szonan eine Klaue auf sich zu rasen. Von den Krallen tropfte Blut.
Es folgte der Schmerz. Wahrscheinlich wäre Szonan bereits jetzt gestorben – weniger als fünf Sekunden nach Beginn der Attacke –, wenn er nicht instinktiv zurückgewichen wäre.
So streiften ihn die Krallen nur. Seine Kleidung wurde zerfetzt, die Haut an seinem Brustkorb aufgerissen. Doch den Schmerz beachtete er nicht.
Noch während er sich nach hinten fallen ließ, schoss er den Nadler ab. Ein tödlicher Strom Kleinstprojektile wurde auf fünffache Schallgeschwindigkeit beschleunigt und jagte der Bestie entgegen.
Das Tier gab wilde Schreie von sich, während sich die Klaue in blutiges Fleisch verwandelte.
Keiner von Szonans Gefährten war bislang zu einer Reaktion fähig gewesen. Es gelang ihm, einen Blick auf die verletzte Technikerin zu werfen. Sie schrie nach wie vor. In ihrer Stimme paarten sich Schmerz und nackte Angst.
Das Entsetzen krampfte Szonans Herz zusammen, als er erkannte, dass der jungen Frau der rechte Arm unterhalb des Ellenbogens abgerissen worden war.
Immer noch schoss er auf die Kreatur. Doch das Monstrum starb nicht. Die Klaue und der dazugehörige Arm waren zerfetzt. Doch der Körper, obwohl auch er bereits schwer verletzt war, bewegte sich weiter!
Jetzt wandte sich das Monster um und streckte drei Arme nach den Männern aus. Nun erst nahm Szonan wahr, dass das unheimliche Tier über sechs Extremitäten verfügte.
Das Raubtier war für ihn in diesen Momenten nichts anderes als ein Höllendämon, den es zu bekämpfen galt.
»Schießt doch, schießt!«, schrie er seinen Begleitern zu, doch alle schienen vor Entsetzen wie gelähmt zu sein.
Es schien Szonan, als seien seit Beginn des Angriffs schon Minuten vergangen, doch in Wahrheit konnte es sich nur um Sekunden handeln.
Der nächste Augenblick grub sich für immer in sein Gedächtnis. Die Klaue des Untiers wischte durch die Luft und riss einem der Männer den Kopf ab. Noch ehe der Torso auf den Boden fallen konnte, senkte sich eines der gewaltigen Beine auf den Körper und zerquetschte ihm den Brustkorb.
In diesem entsetzlichen Moment reagierten endlich die anderen und schossen ebenfalls.
Das Tier brüllte, schlug um sich, ohne jedoch noch jemanden zu treffen. Szonan brüllte seine Wut und sein Entsetzen hinaus, als sich die Bestie endlich zur Flucht wandte. Sie zog eine Spur einer bläulichen Flüssigkeit hinter sich her. Blut …
Szonan starrte auf die Stelle, an der das Monster im Dschungel verschwunden war. Er hatte sich nie vorstellen können, dass es eine natürliche Lebensform geben könnte, die den konzentrierten Beschuss mehrerer – oder auch nur von einem! – Nadler überleben würde. Jetzt war er klüger …
Das Stöhnen der Technikerin riss ihn in die Realität zurück.
»Wir müssen ihr helfen!«, rief er und beugte sich zu ihr hinab.
Sie war leichenblass und starrte apathisch vor sich. Offenbar nahm sie nichts mehr wahr. Aus ihrem Armstumpf hatte sie eine große Menge Blut verloren.
Mirosz Szonan wunderte sich selbst über die Ruhe, die er empfand. Sein Entsetzen war kühler Distanziertheit gewichen. Er riss sich den Ärmel seiner ohnehin zerfetzten Jacke ab und legte damit einen improvisierten Druckverband an.
Die junge Frau stieß ein leises Wimmern aus, als er ihren Armstumpf berührte.
»Wir müssen sie sofort ins Schiff schaffen!«, stellte er klar. »Wenn sie nicht in ärztliche Behandlung kommt, wird sie sterben!«
Sie trugen sie zu zweit und eilten zur KALKUTTA. Ihren toten Begleiter ließen sie zurück. Für ihn konnte niemand mehr etwas tun. Doch sie schworen, wiederzukommen und seine sterblichen Überreste zu begraben.
Das Gewitter begann bereits, bevor sie die KALKUTTA erreichten, und es dauerte stundenlang an. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, und Wassermassen strömten auf sie nieder.
Als sich Szonan in der späten Nacht – an Schlaf war nicht zu denken; immer wenn er die Augen schloss, sah er den »Dämon« vor sich – nach der Technikerin erkundigte, erhielt er die erste gute Nachricht des Tages. Es war den Ärzten an Bord gelungen, sie zu stabilisieren. Sie würde leben – und zurück in der Zivilisation würde sie wahrscheinlich einen neuen Arm erhalten.
Zumindest, wenn sie jemals von diesem Planeten herunterkommen würden.
Wenn!
Der Angriff auf das Schiff begann bereits, als die ersten Schatten der Nacht schwanden
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