Sternenfaust - 101 - Der Weltraumfriedhof (2 of 2)
»Weltraumkoller«, sagte er amüsiert. »Wenn ich verrückt geworden bin, dann nur nach dir, meine holde Hawaiianerin.«
Emma schüttelte bestimmt den Kopf. »Lass den Quatsch, sonst ziehe ich dir deine Ohren lang, wenn wir wieder an Bord sind. Sofern Santos dich bis dahin nicht erwischt und es ohnehin schon erledigt hat.«
»Was habt ihr nur immer mit eurem Santos?«, fragte Marvin. »Nach allem, was man so hört, war der gute Commander in jungen Jahren ebenfalls alles andere als ein Regelfetischist. Auch unser aller Chef John Santos hat Aktionen durchgeführt, die so nicht im Lehrbuch oder in seinen Befehlen standen. Und warum? Weil er wusste, dass der Zweck die Mittel heiligt.«
Tyree schwieg, als wolle er diese Worte wirken lassen. Für einen Moment kehrte wieder Ruhe in den Funkverkehr ein – eine Ruhe, die der Atmosphäre und rätselhaften Bedeutung dieses unwirklich erscheinenden Ortes am Zentrum der Galaxis in Emmas Augen weitaus angemessener war als das Geplapper eines hyperaktiven Texaners. Wrackteile schwebten am Fenster des Jägers vorbei durch die ewige Nacht, und sie fragte sich, ob Commander Santos es Marvin nicht nachmachen und sich unbemerkt anschleichen könnte. Kein angenehmer Gedanke.
Emma ergriff ihren Steuerknüppel und korrigierte ihren Kurs ein wenig, um nicht in die Bahn eines umhertreibenden Trümmerstücks zu geraten. »Und jetzt?«, fragte sie, als Marvin nicht weitersprach.
»Und jetzt frage ich euch noch einmal. Wollt ihr, quasi ganz im Sinne des jungen John Santos, mal ein wenig Cowboystrategie beweisen und eure Befehle, sagen wir: großzügig interpretieren? Ich garantiere euch: Wenn wir im Innern eines dieser Wracks etwas Interessantes finden, sind wir die Helden des Tages! Geschichte wird immer von den Gewinnern geschrieben, nicht wahr?«
Noch bevor Emma oder Morten antworten konnten, schaltete sich eine weitere Stimme in ihre Unterhaltung ein – und Emma sah, wie John Santos’ Jäger hinter einem großen Wrackteil hervorschwenkte. Die Frontlichter seiner Maschine glühten in der Dunkelheit wie böse Augen und reflektierten im Sichtfenster von Emmas und Mortens Jäger. Erwischt!
Nur Santos allein wusste, wie lange er dort schon versteckt gewesen war und ihre Funkunterhaltung unbemerkt belauscht hatte. Würden sie jetzt ein Donnerwetter bekommen? »Und ganz im Sinne des alten John Santos sage ich Ihnen, dass Sie sich gerade vierzehn Tage Flugverbot eingehandelt haben, Tyree«, sagte der Commander. Er klang belustigt. »Zurück auf Ihre Position, Pilot! Sie wissen, was Sie zu tun haben.«
»Aye, Sir«, antwortete Tyree, und sofort schwenkte sein Jäger wieder ab in die Richtung, aus der er gekommen war. Emma schmunzelte, als sie sich sein erschrockenes Gesicht vorstellte.
»Danke, Sir«, sagte sie, als der Texaner außer Hörweite war. »Ohne Sie wären wir den vermutlich nie los geworden.«
»Ja, so ist er«, lachte Santos. »Ein wenig vorlaut, ein wenig dreist, und voller kruder Ideen.«
»Ähnlich wie Sie in dem Alter?« Es war ihr rausgerutscht, bevor sie darüber nachdenken konnte, was sie da eigentlich sagte. Und kaum dass es ihren Mund verließ, war es ihr auch schon peinlich. Emma spürte, wie ihre Wangen warm wurden.
»Wollen Sie auch nicht mehr fliegen, Kalani?«, fragte Santos, und Emma wusste nicht, ob er scherzte oder nicht. »Zurück an die Arbeit. Wir haben ein Wrack zu finden.«
»Ja, Sir«, sagte sie und gab ihrem Jäger neuen Schub. Schnell verschwand er aus Santos Blickfeld.
»Ähnlich wie Sie in dem Alter«, murmelte Jackville hinter ihr ungläubig und klopfte Emma aufmunternd auf die Schulter. »Und das zum Vorgesetzten. Respekt. Also, wenn ich’s nicht besser wusste, würde ich sagen, dass Tyrees Spinnereien wohl ansteckend sein müssen.«
Abermals färbten sich Emmas Wangen rot.
*
»Das wären dann also zwanzig Objekte, sehe ich das richtig?«
Dr. Alexis Finch, Anthropologe im Dienste des Star Corps, blickte auf die Auswahl von Fotografien, die der 3-D-Bildschirm am Kopfende des Stahltisches mit Holzoptik nun anzeigte. Bilder, die John Santos’ Pilotenstaffel bei ihrem Erkundungsflug durch das Trümmermeer draußen vor der STERNENFAUST geschossen hatte. Sie zeigten Raumschiffstypen, die der Wissenschaftler trotz seiner fünfundfünfzig Lebensjahre und den über dreißig Dienstjahren noch nie gesehen hatte. Ihre Fremdartigkeit faszinierte ihn mehr als er hätte beschreiben können.
Finch befand sich im Konferenzraum des Schiffes,
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