Sternenfaust - 102 - An vielen Fronten
hinaus auf den rund 15 Kilometer tiefer liegenden Kratersee.
Der Abt drehte sich zu ihm um. »Meister William, ich verstehe, dass Sie sich nicht als menschliches Versuchskaninchen begreifen. Wir haben auch bisher aus genau diesem Grund die Tatsache, dass es einigen unserer Brüder wahrscheinlich möglich ist, telepathisch zu kommunizieren, bewusst als Ordensangelegenheit geheim gehalten und nicht viel Initiative bei der Erforschung der entsprechenden Vorgänge im Gehirn gezeigt. Aber es sind Ereignisse eingetreten, die das möglicherweise ändern werden. Sie und ich, wir müssen darüber reden.«
William antwortete nicht. Er wusste, andere hätten diese Gabe vielleicht faszinierend gefunden, nicht jedoch er selbst. Davon abgesehen, dass sie nur zu spüren war, wenn sie von außen gewissermaßen induziert wurde und ansonsten »ruhte«, hatte ihn die Tatsache, dass er in Anwesenheit von Wesen, zu deren Gaben offenbar Telepathie gehörte, deren Gedanken tatsächlich lesen konnte, persönlich nicht weitergebracht. Bestenfalls sahen ihn die, die davon wussten, schräg an. So empfand er es jedenfalls.
»Abt Daniel, ich bin der Ansicht, dass dieses Geheimnis nur die angeht, die diese Gabe besitzen. Sie ist kein Allgemeingut und sie sollte es auch nicht werden.« Seine Stimme klang schroff. Der Gedanke, den Sirius zu verlassen, erschreckte ihn. Er hatte nach dem berühmten »STERNENFAUST-Zwischenfall« kein Bedürfnis mehr gehabt, ins Weltall zu gehen und mied selbst Reisen im Raum der Solaren Welten nach Möglichkeit.
Der Abt sah ihn begütigend durch seine Brillengläser hinweg an. William fragte sich zum hundertsten Mal, warum Daniel sich nicht dazu aufraffte, seine Augen behandeln zu lassen, sondern diesem hoffnungslos antiken Modell den Vorzug gab. »Weil mir sonst das Gewicht auf der Nase fehlt!«, schien ihm nur eine unzureichende Begründung dafür zu sein, doch Abt Daniel ließ sich zu keiner anderen Antwort bewegen.
William versuchte sich wieder auf den Grund seines Hierseins zu konzentrieren.
»Ich weiß im Übrigen nicht, was das soll. In den letzten 15 Jahren habe ich diese Gabe nicht einmal gespürt! Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob ich sie überhaupt habe!«, meinte er schließlich ungeduldig. »Und wenn ich das schon sage, wie mag es da erst jungen Leuten wie Mauritio Abbo gehen.«
»Sie müssen bedenken, dass die auch nie in die Nähe eines Wesens gekommen sind, das die Aktivierung dieser Gabe ausgelöst hätte. Sie ja auch nicht, Meister William – jedenfalls nicht, seitdem Sie wieder hier auf Sirius sind.«
William seufzte ärgerlich auf. »Was wohl kaum an mir liegt! Ich habe den Kontakt mit der Entität immer wieder gesucht! Ich habe Ihren Weg und den von St. Garran jedes Jahr beschritten, in der Hoffnung, wieder auf diese Wesenheit zu treffen – und Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Darauf, ob die Entität etwas damit zu tun hatte, dass ich diese Gabe entwickelt habe, oder ob es vielleicht erst Denuur war, der mir diese Gabe verliehen hat. Oder, ganz generell, wieso gerade ich diese Gabe besitze …«
»Die genetischen Voraussetzungen für extern induzierte Telepathie besitzen viele unserer Brüder. Ich auch, wie Sie wissen. Vielleicht hatte ich deshalb das Glück, dass sich mir die Entität einst offenbarte. Ihr junger Novize Mauritio Abbo besitzt sie auch.«
William schnaubte. »Das ist ja alles gut und schön. Aber der Mensch ist einfach nicht dafür geschaffen, sich telepathisch zu verständigen.«
»Man könnte auch argumentieren – und das wäre eher im Sinne unserer Philosophie, Meister! – das Gott nichts tut ohne Grund. Insofern wäre auch Ihre Gabe der rudimentären Telepathie kein Zufall, sondern es hätte einen bestimmten Grund, dass ausgerechnet Sie sie besitzen. Man könnte auch sagen, es sei nicht im Sinne des Universums, dass Sie diese Gabe einfach ruhen lassen.«
Langsam begann Meister William sich zu ärgern. »Ich bin nicht der Einzige mit dieser Gabe, das sagten Sie gerade selbst, Abt. Warum spielt nicht ein anderer Mitbruder das Versuchskaninchen?«
»Weil Sie am besten wissen, wie es sich anfühlt, wenn sie aktiv ist – Sie kennen den Zustand. Sie haben damit gelebt. Wir anderen nicht. Sie und ich, wir haben diese Erfahrung den anderen voraus. Alle anderen wissen nicht einmal, ob es ihnen überhaupt gelingen könnte, mit telepathisch begabten Wesenheiten in Kontakt zu treten.«
William Beaufort zauderte und wünschte sich mit einem Mal glühend zurück
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