Sternenfaust - 138 - Tyrannenmord auf Kridania
Spiegel seiner kargen Wohnkammer im Palast. Er sah blasser aus als sonst, die federlose Gesichtshaut wurde weniger stark durchblutet.
Es war so weit. Das war der Tag, an dem es gelingen musste. Der wichtigste Tag in seinem Leben. An diesem Tag würde er kridanische Geschichte schreiben.
Er würde den Raisa töten.
Der Gedanke war nach wie vor erschreckend. Es ging um alles oder nichts.
Ein letztes Mal rückte er den Kragen der Uniform mit den Krallen zurecht. Gegessen hatte er seit Tagen nichts mehr. Er spürte keinen Hunger, nur den pochenden Schmerz in seinem Inneren. Den Schmerz um den Verlust von Seran-Pakor und über den unglückseligen Lauf der Dinge.
War es wirklich der Raisa, der vom Weg Gottes abgekommen war? Oder war er der wahre Sünder? War er verblendet und überheblich zu denken, die Geschicke Gottes selbst in die Klauen zu nehmen?
Er besah sich die Linien und Falten, die sich mit jedem Jahr in seine Haut gegraben hatten, und suchte in seinem Gesicht nach einer Antwort.
Er war Sun-Tarin. Einst hatte er dem Raisa das Leben gerettet, als dieser ein junger Schlüpfling gewesen war. Und nun wollte er diesem Raisa das Leben nehmen.
Er wandte sein Gesicht vom Spiegel ab.
Seine Schwester war nicht zu sehen, als er zu den Gleiterparkplätzen vor dem Palast des Blutes aufbrach. Vermutlich verrichtete sie ihren Dienst im Küchentrakt. Auch sie tat so, als sei dies ein ganz normaler Tag. Dabei wusste sie es besser.
Sun-Tarin ging langsam durch die hohen Flure und durch die Palastgärten. Er wusste, dass es das letzte Mal sein konnte, diese wundervollen Sand- und Blütengärten zu sehen. Wehmütig sog er den Duft der Stauden ein.
Draußen war die Luft noch kühl, doch es würde ein heißer Tag werden. In Matlanor konnte die Temperatur mitunter stark schwanken.
Am Horizont sah er den sichelförmigen Mond stehen. Jedes Bild nahm er tief in sich auf. Vielleicht würde er nach diesem Tag vor dem Gericht Gottes stehen und zu ewiger Qual verurteilt werden. Er würde Gott sagen, er habe nur an sein Volk gedacht.
Sun-Tarins Klaue umfasste seine Tasche, die mit unwichtigen Papieren gefüllt war. Für einen Außenstehenden musste er aussehen wie ein Les-ta auf dem Weg zu einer wichtigen Besprechung.
Er erreichte den Gleiter, der bereits auf ihn wartete. Vier weitere Kridan wurden darin gemeinsam mit ihm zum Herdan transportiert. Auch der Mar-Tanjaj Resan-Tar war unter ihnen. Ein Mitwisser.
»Es wird ein herrlicher Tag werden, nicht, Sun-Tarin?«, sagte er gut gelaunt.
Sun-Tarin hob den Schnabel. »Vielleicht ein wenig warm.«
Der Mar-Tanjaj krächzte zustimmend. »Ich genieße jeden Tag in Matlanor. Bald wird der Raisa mich wieder in die Schlacht schicken. Er wird die neuen Pläne heute vorstellen. Er plant die Vernichtung des Sol-Systems. Sein Großangriff soll New York und der Erde gelten.«
»Ich warte gespannt auf die Ausführung der Pläne seiner Heiligkeit.«
Sun-Tarin wandte sich ab und sah aus dem Fenster des Gleiters. Matlanor schwebte unter ihm vorbei. Er erkannte mehrere zerstörte Gebäudetrakte zwischen den taubengrauen Wohntürmen. Militärische Ziele. Jäger der Solaren Welten hatten sie angegriffen. Die Menschen führten einen sauberen Krieg. Sie blieben fair. Bis jetzt. Aber das würde sich ändern, wenn der Raisa das Sol-System angriff. Dann würden die Menschen nicht mehr so rücksichtsvoll gegenüber kridanischen Zivilisten sein.
Nein, das er würde nicht zulassen. Innerlich versuchte er sich zu stärken, sich vorzubereiten auf das, was kam.
Sein künstliches Auge juckte entsetzlich.
Der Flug schien endlos lange zu dauern. Sun-Tarins Herzschlag beschleunigte sich. Er wusste, dass es bald so weit war. Mit jedem Atemzug kam er der Erfüllung seines Schicksals näher.
Quälend langsam schälte sich die Festung Herdan aus dem roten Dunst des Morgens. Hinter ihr ragten die Berge auf. Der Gleiter setzte zur Landung an.
Der Mar-Tanjaj stieg als Erster aus, wie es seinem Rang gebührte. Sun-Tarin folgte ihm in einigem Abstand.
An der ersten Wachstation sah er sechs Tanjaj stehen. Einer davon war Farun-Dan. Der Erste Wächter winkte ihn freundlich zu sich, als er näher kam.
»Sun-Tarin, so pünktlich wie ein Les-ta.« Er lachte gackernd und hielt Sun-Tarin das Gerät für die Handkrallenprüfung entgegen.
Sun-Tarin legte seine Kralle darauf ab. Er glaubte, sein Herz würde so laut schlagen, dass der Erste Wächter es einfach hören musste.
»Bitte den Schnabel öffnen«, krähte
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