Sternenfaust - 140 - Chimären-Tanz
wies der Leib auch deutliche Einschnürungen auf, die ihn in Kopfsektion, Brust und Hinterleib teilten. Auch sprossen einige zusätzliche Arme aus der Seite, momentan noch als verkümmerte, nutzlose Auswüchse.
Stellenweise war das Fell ausgefallen und einer harten Panzerung gewichen. Eine Gewebeprobe hatte ergeben, dass es sich dabei hauptsächlich um das bei Insekten der meisten Welten typische Chitin handelte.
Auf all das kam es Caldwell jedoch nicht an. Dieser spezielle Fall konnte nicht mehr als einen weiteren Vergleichs-Datensatz bilden. Wichtig war einzig und allein die leere Augenhöhle, in die er bereits eine Trägerflüssigkeit geträufelt hatte.
Nun fügte er einen genetischen Frequenz-Beschleuniger hinzu – eine seiner Erfindungen.
Wenn es ihn nicht täuschte, musste es ab sofort schnell gehen. Verlor er zu viel Zeit, würde das Experiment unweigerlich scheitern. Mit einem mikro-chirurgischen Instrument entfernte er eine winzige Gewebeprobe aus dem intakten Auge der Chimäre.
Diese koppelte er mit einem Rest der genetischen Trägermasse und versiegelte das kostbare Ergebnis in einem künstlichen Vakuum, einer Vakuole von weniger als zwei Millimetern Durchmesser.
Er schaute auf die Uhr. Es waren fast hundert Sekunden vergangen. Bereits mehr als die Hälfte der Zeitspanne, die er sich selbst als Maximaldauer gesetzt hatte. Ob es wohl genügen würde, und ob der Versuch überhaupt Früchte zeigte?
Diese Frage würde er sich schon bald selbst beantworten können.
Natürlich hätte er das verlorene Auge auf andere, herkömmliche Art nachzüchten können, doch die Verknüpfung des geklonten Organs mit dem Originalleib war nie zu hundert Prozent effektiv. Außerdem wollte er kein zweites linkes Auge, sondern ein rechtes …
Die Vakuole aus bioresorptivem Stoff versank in der vorbereiteten Augenhöhle. Mit einem Mikrolaser verschweißte sie Caldwell am durchkappten Sehnerv. Dabei summte er zum wohl hundertsten Mal an diesem Tag die alte Hymne seines Volkes.
Als die Arbeit getan war, verschloss er die Höhle mit einem Verband.
Der Körper der Affen-Chimäre bebte – doch nicht etwa, weil sie Schmerz oder irgendetwas anderes fühlte, sondern einzig und allein, weil sie frei sein wollte.
»Bald«, flüsterte Caldwell. »Bald wirst du in die Urwälder zurückkehren können.« Er fühlte etwas, das an Mitleid erinnerte, oder zumindest an etwas, dass diesem so nahe kam, wie es bei einem Menschen wie Scott I. Caldwell nur möglich war.
Er war niemand, der sich mit derlei schwächlichen Regungen plagte. Effektivität und damit einhergehender wissenschaftlicher Forschungseifer gingen ihm über alles. Diesem großen Ganzen musste sich alles andere unterordnen.
Und das große Ganze auf diesem Planeten war nun einmal er selbst.
Spielerisch fuhr er seinem Versuchsobjekt über die Fühler.
»Aufzeichnungsbeginn Versuch Fünf-Neun-Sechzehn«, sagte er. »Es ist dreiundzwanzig Uhr neununddreißig. Montagabend, um die gebräuchliche Zeitrechnung meiner Vorfahren zu bemühen. Ich werde nun zu Bett gehen. Spätestens in zwölf Stunden werde ich sehen, ob das Wachstum des neuen Auges in Gang gesetzt wurde. Wenn ja, wäre dies ein entscheidender Durchbruch zur Selbstregeneration bei Säugetierartigen. Ich habe verschiedene Teile des Genoms einer einheimischen Wurmart verwendet. Diese spezielle Spezies ist in der Lage, nach einer vollständigen Durchtrennung ihres Leibes von der Schnittstelle aus in beide Richtungen zu wachsen und die fehlenden Teile zu rekonstruieren. Möglich ist es durch ein dezentralisiertes Gehirn, das gewissermaßen Backups seiner selbst an verschiedenen Stellen des Körpers ablegt. Der Vergleich mit dem irdischen Seestern sei hiermit bemüht, wenn dieser auch ein zwar ähnliches, aber keinesfalls identisches Phänomen darstellt.«
Er dachte kurz nach, hörte sich die Worte noch einmal an und entschied, sie nicht zu verändern.
Auf dem Weg zu seiner Schlafkammer kam ihm ein besonderes Wort in den Sinn, über dessen Bedeutung er schon oft nachsinniert hatte:
Unsterblichkeit.
Der irdische Seestern diente ihm dabei als Vorbild, und er beschloss, sich eine Gewebeprobe zu besorgen, oder noch besser, einige lebende Exemplare. Für einen Mann mit seinen Verbindungen sollte das leicht möglich sein.
Trennte man dem Seestern einen seiner Arme ab, so wuchs er nicht nur nach … vom abgetrennten Arm aus bildete sich der komplette Leib neu. Das Ergebnis waren zwei Seesterne – genetisch einander so
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