Sternenfaust - 155 - Die Vergessenen
damit sie ihren Entschluss nicht doch noch änderte.
Langsam begann sich Chrissie abzutrocknen, die dünnen schulterlangen Haare zurückzukämmen und einen simplen Pferdeschwanz zu binden, bevor sie nach Unterwäsche und Kittel griff, die Kleider überstreifte und sich vor den Monitor setzte. Da sie sowieso zu spät kam, konnte der Doktor jetzt auch noch etwas länger warten.
Ein paar Mal übte sie ein möglichst heiteres Lächeln, kniff sich in die Wangen, um sie rosig erscheinen zu lassen, dann berührte sie das Kom-Touchfeld und aktivierte die Kontaktdaten ihres Freundes.
Ben brauchte lang, um die Verbindung anzunehmen. »Hey, meine kleine Weltraumratte, schon so früh Sehnsucht nach mir?«
Ihr Freund blickte ihr schelmisch aus dem Kom-Fenster entgegen, den Backenbart verzaust, die gekräuselten Haare unter einer schlichten Lederkappe gebändigt. Chrissie erkannte an dem mannshohen blauen Kobaltblock hinter ihm, dass er bereits in seinem Künstleratelier war und arbeitete.
Schon sein Vater hatte mit diesem auf der Erde so seltenen Material hantiert und sich die Bergbaurechte sofort gesichert, als man es auf einem der Exo-Planeten in riesigen Vorkommen entdeckt hatte. Ein Geschäft, das ihn und seine Familie auf einen Schlag reich gemacht und dazu noch für die nächsten Generationen abgesichert hatte.
»Ich wollte nur sehen, ob sich mein Lieblingsbildhauer während meiner Abwesenheit nicht in eine seiner Steinschönheiten verliebt hat.«
Sie lächelte, und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. Ben schaffte es allein durch seinen so strahlenden offenen Blick, ihr neue Kraft zu schenken. Kraft, die sie brauchte, um ihre Entscheidung mit Entschlossenheit und fester Stimme zu vertreten.
»Nein, im Ernst, ich wollte dir eigentlich sagen …« Noch bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte, begann Bens Konterfei einzufrieren, färbte sich erst blau, dann grellviolett, dann brach die Verbindung ab, und egal, was Chrissie auch versuchte, der Kanal blieb tot. Ich hasse dich! Hörst du? Ich hasse dich, du verdammtes Schiff!
Mit Grabesmiene und extremer Verspätung schlurfte Chrissie die Gänge entlang Richtung Krankenstation.
Sollte Doktor Tregarde doch schimpfen, es spielte keine Rolle mehr. Dieses Kapitel war vom heutigen Tage an abgehakt, und das würde sie ihm auch gleich direkt ins Gesicht sagen. Sie würde sagen, dass er sich seine Überheblichkeit und ironisch-sarkastische Art sparen …
Wie vom Donner gerührt, bliebt Chrissie stehen und starrte an die eben noch leere Stelle vor dem Borddisplay, das neben der Sektionsschleuse angebracht war. Dort, keine fünf Schritt entfernt, war eine Gestalt aufgetaucht.
Ein waberndes, Licht schimmerndes Wesen, so groß wie ein Kind, in aufrechter, fast humanoider Haltung.
Mitten aus dem Nichts!
Einen Moment lang rang die Laborassistentin um Fassung und rieb sich über die Augen, bevor ihr Verstand in den antrainierten Modus fand. Schließlich hatte auch sie ein Intensivtraining erhalten. Sie wusste also, wie sich Fachpersonal im Falle eines Zwischenfalls auf einem Raumschiff verhalten musste.
Da der Eindringling keine Anstalten machte, sie anzugreifen oder zu fliehen, sie vielleicht nicht einmal bemerkt hatte, bewegte sie so ruhig wie möglich ihre Linke zum Kom-Armband der rechten Hand, wählte den Verbindungscode zur Sicherheitszentrale aus und wollte gerade den Ruf starten, als die Gestalt sich umdrehte und sie aus opalschimmernden Augenhöhlen ansah.
*
STERNENFAUST, Transalpha, zwei Stunden nach dem Kontakt
»Was haben Sie für mich, Commander Austen?«, wandte sich Cody an den rothaarigen Offizier, der an der Ortungskonsole saß. »Gibt es jemanden, der dieses alte Schiff vermisst?«
Schon nach dem ersten Scan war klar gewesen, dass sie hier ein Stück Altmetall eingefangen hatten. Ein Frachtraumer der CELSOR Reihe. So etwas wurde schon seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut und fand sich höchstens noch in Einzelteilen auf irgendeinem Schrottfriedhof. Mit diesen konstruktionsbedingt noch deutlich unförmigeren, eckigen Raumern wurden heutzutage nur noch sehr selten Kolonien beliefert. Die Fortschritte beim Terraforming hatten längst dazu geführt, dass sich die Kolonien meist sehr rasch selbst mit allen nötigen Rohstoffen versorgen konnten.
Wer auch immer an Bord dieses alten Kahns gewesen war, hatte sich entweder mit viel Glück in einer Rettungskapsel davon gemacht oder war darin umgekommen.
»Die Außenhülle scheint intakt«, antwortete
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