Sternenfaust - 166 - Invasionsstufe Zwei
(entspricht dem 15. September 2272 nach irdischem Kalender)
Stefoor rannte und rannte.
Es war seltsam. Eigentlich war er ein guter Läufer. Doch jetzt musste er immer wieder stehen bleiben, weil ihn die Kraft verließ.
Woran lag es? War es seine Trainingstasche? Seine zu enge und zu schwere Kleidung?
Hatte er sich beim Drachenringen zu sehr verausgabt?
Oder war es am Ende einfach nur die Angst, die ihn lähmte?
Die Straßen waren wie ausgestorben, und er hatte beinahe das Gefühl, Ebot-Mar wäre evakuiert worden und er als Einziger zurückgeblieben.
Die Sonne brannte herunter. Sein kahler Schädel glühte, sein Mund war trocken, und seine Zunge fühlte sich dick und schwer an.
Erneut warf Stefoor einen Blick auf sein Kom-Pad: immer noch Fehlanzeige. Er konnte weder zu seiner Großmutter noch zu sonst jemandem Kontakt herstellen. Wahrscheinlich hatten die Angreifer als Erstes die Kommunikationssatelliten zerstört.
Acht Kilometer südlich, mitten in der Stadt, lag der Raumhafen. Dort befanden sich auch die meisten Bunkeranlagen, die man nach dem ersten Morax-Angriff gebaut hatte.
Doch noch immer waren es viel zu wenige, um auch nur ein Drittel der Stadtbewohner unterzubringen.
»Wenn es zu einem Angriff kommt«, hatte man ihnen in all den Jahren eingebläut, »dann lauft zu den Bunkeranlagen! Nur dort seid ihr sicher!«
Im Moment zweifelte Stefoor daran. Den Raumhafen würden die Fremden doch sicher zuerst angreifen. Dann war das Kraftwerk dran, und danach würden auch die Schutzfelder der Bunkeranlagen nicht länger funktionieren.
Fern am Himmel sah Stefoor mehrere Streifen. Es waren die Kondensstreifen von Flugschiffen. Waren es die Angreifer? Oder waren es Schiffe, welche die Bevölkerung evakuierten?
Stefoor zuckte zusammen, als er plötzlich hinter sich das helle Surren eines Gleiters hörte.
Der Junge hatte zuvor mehrfach versucht, einen Gleiter anzuhalten, doch erfolglos. Schließlich hatte er es aufgegeben. Er war intelligent genug, um zu durchschauen, dass bei einer Panik jeder nur an sich dachte.
Umso mehr wunderte es Stefoor, dass der Gleiter neben ihm zum Stillstand kam und sich die Tür auf der Pilotenseite öffnete.
Es war Eysel Peyot, ein Nachbar.
Der J’ebeem war ein wenig untersetzt und angeblich unsagbar reich. Es hieß, Eysels Onkel stecke tief im illegalen Aama-Geschäft, und er selbst helfe dabei.
Stefoor hatte das nie so recht glauben wollen. Für ihn war Eysel Peyot die Ausgeburt eines Spießers. Allein schon die albernen Kobolddrachenfiguren, die er in seinem Vorgarten aufgestellt hatte …
»Stefoor, was tust du hier?«, rief Eysel Peyot. Trotz der akuten Gefahr ärgerte sich Stefoor einen Moment lang, dass Eysel Peyot ihn so respektlos zur Rede stellte. Immerhin war Stefoor von adeliger Herkunft.
»Komme aus der Schule«, antwortete Stefoor und strich sich kurz über die rechte Kopfhälfte, fast so, als wollte er mit dieser Geste auf seinen Geburtsstatus aufmerksam machen.
»Ich dachte, euch Schüler hat man in Notgleitern zu den Bunkern gebracht?«
»Ich habe noch trainiert und war länger in der Schule«, antwortete Stefoor. »Wissen Sie, was mit meiner Großmutter ist?«
»Die ganze Straße wurde evakuiert. Deine Großmutter dürfte wahrscheinlich längst am Raumhafen nach dir suchen! Komm schon, steig ein!«
Nun war Stefoor doch dankbar, dass Eysel Peyot – mochte er nun bürgerlich sein oder auch nicht – ihn gefunden hatte.
Als Stefoor im Gleiter saß, aktivierte sich sofort der automatische Schutzgurt. Eysel berührte nur ein Touchscreen-Feld, und der Gleiter setzte sich in Bewegung. Der Kurs war einprogrammiert, der Gleiter flog automatisch.
»Rieche ich da etwa einen Aama-Mulok-Mix?«, fragte Eysel und hob die Augenbrauen.
Das musst du gerade fragen , dachte Stefoor grimmig, sagte aber nichts. Er wollte Eysel mit Missachtung strafen. Doch dann spürte er, wie die Angst in ihm wuchs und seinen Zorn vertrieb. »Sind es wirklich die Morax?«, sprudelte es plötzlich aus ihm heraus.
»Keine Ahnung!«, antwortete Eysel knapp. »Aber irgendwer greift uns an, das ist sicher. Leider fiel recht bald das Kom-System aus, und auch die Hauptversorgungsleitungen wurden gekappt. Im Moment werden die Datenkanäle bloß mit den üblichen Netz-Gerüchten überschwemmt. Da macht man sich nur verrückt, wenn man die liest.«
Stefoor nickte, und es musste wohl recht ängstlich ausgesehen haben, sodass Eysel hinzufügte: »Mach dir keine Sorgen. An Zivilisten wie uns
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