Sternenfaust - 172 - Das Ende einer Ära (1 of 3)
lassen.
*
Sirius III, Kloster des Christophorer-Ordens
Abt Daniel hatte die antike Nickelbrille vor sich auf den Schreibtisch gelegt.
Diese alberne Brille , dachte er. Es war ein Tick, der ihm nun lächerlicher denn je vorkam. Weil mir sonst das Gewicht auf der Nase fehlt , pflegte er zu antworten, wenn ihn jemand fragte, weshalb er denn eine Brille trage. Natürlich zog diese Antwort stets nur fragende Blicke nach sich.
Heute fehlte ihm das Gewicht nicht. Im Gegenteil. Die Last der letzten Tage schien ihn regelrecht zu erdrücken.
Das Bild auf seinem Schreibtisch verschwamm, während Tränen seine Augen füllten. Nach all den Todesnachrichten in der letzten Zeit nun also auch noch Bruder Samuel.
Vor fünfzehn Minuten hatten die Ordensbrüder den Abt unterrichtet, dass das Peilsignal zu Bruder Samuel abgebrochen war. Davor waren für ein paar Sekunden die Körperfunktionen des jungen Mannes angestiegen, allein die Pulsfrequenz hatte bei über zweihundert gelegen. Dann war das Signal abgerissen.
Der letzte Standort des Peilsenders war die Oberfläche des Saluensees gewesen.
Natürlich suchte der Verstand von Abt Daniel bereits nach denkbaren Erklärungen, nach Szenarien, wonach Bruder Samuel vielleicht doch noch lebte. Konnte es nicht ein Kampf mit einem Gesteinsbeißer gewesen sein, bei dem der Sender sich schließlich gelöst und in den See gefallen war?
Doch tief in seinem Inneren wusste Abt Daniel, dass er sich etwas vormachte. Bruder Samuel war tot, und die Rettungsmannschaft, die er sofort losgeschickt hatte, würde nicht in der Lage sein, den Jungen zu finden.
Wie hatte das passieren können? Es war unerklärlich.
Wütend krallte Abt Daniel seine Hände in seine schneeweißen Haare, die bis zu den Schultern reichten. Er fing an, sich Vorwürfe zu machen. Er hätte Bruder Samuel nie erlauben dürfen, den St-Garran-Pfad zu bewandern. Auch wenn der Junge sportlicher war als die besten Kletterer des Ordens, auch wenn er ihm immer fleißig und besonnen vorkam und ausgesprochen klug war … er war ein Jungspund. Und die Jugend neigte nun einmal zum Leichtsinn.
Aber er hatte es getan, weil er Bruder Samuel nicht auch noch an Mayen Thule hatte verlieren wollen. Irgendwie hatte Abt Daniel gehofft, die Wanderung auf dem Pfad würde bei dem jungen Mann die Leidenschaft für den Orden neu erwecken.
»Entschuldigung«, räusperte sich jemand. Jemand, dessen Stimme Abt Daniel nur allzu gut kannte.
Erschrocken blickte er auf, griff reflexartig zu seiner Nickelbrille und setzte sie auf.
Es war eine absurde Reaktion. Die Brille hatte gar keine geschliffenen Gläser. Abt Daniel trug die Brille, weil sie ihm zum einen das Gefühl gab, den Blick zu bündeln, und weil sie ihm zum anderen den Eindruck verschaffte, die Dinge aus Distanz zu sehen, sozusagen durch eine gläserne Barriere hindurch.
Doch keine Bündelung und keine Distanz halfen ihm nun, die Dinge klarer zu sehen.
»Was?«, stammelte er, als er plötzlich vor sich Meister William Beaufort erblickte. Neben ihm befanden sich der ehemalige Christophorer-Mönch Izanagi Narada und Mister Narrows, der Vater von Bruder Samuel.
Abt Daniel hatte bislang zweimal mit Mister Narrows gesprochen und kannte nur seinen Nachnamen. Zugleich wusste Abt Daniel noch im gleichen Augenblick, dass keiner der drei derjenige war, der er vorgab zu sein. Es waren offensichtlich Entitäten, die aus welchen Gründen auch immer diese Gestalten angenommen hatten.
»Was wollt ihr hier?«, fragte Abt Daniel zornig. »Verschwindet dorthin, wo ihr hergekommen seid.«
Das Wesen, das wie Meister William aussah, lächelte so verschmitzt und gutmütig, wie Abt Daniel es von Meister William kannte. »Einmal abgesehen davon, dass wir dorthin, wo wir herkamen, nicht zurück wollen, wir könnten es noch nicht einmal, selbst wenn wir wollten.«
Izanagi nickte. »Die J’ikaa’nu ist abgeschlossen.«
J’ikaa’nu, überlegte Abt Daniel. Das Wort kam ihm bekannt vor. Und es dämmerte ihm auch gleich. Dieser Begriff war in dem Bericht von Dana Frost aufgetaucht. Dem Bericht, in dem sie die Umstände des Todes von Meister William erläutert hatte.
»Selbst die Quantenteleportation ist uns nur noch mit größter Mühe gelungen«, bestätigte Mister Narrows. »Vor allem daran werden wir uns wohl noch gewöhnen müssen. Wir müssen uns fortbewegen wie alle anderen in diesem J’ikaa.«
»Ich verstehe nichts von dem, was ihr sagt!«, rief Abt Daniel.
»Verstehen müssen Sie auch
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