Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)
ihn aus der Krankenstation und wandte ihm den Rücken zu, um etwas auf Philips Krankenblatt zu notieren. Gerade als Kieran sich umdrehen wollte, glaubte er, eine Träne im Auge des Jungen wahrgenommen zu haben. Von allen Leuten auf dem Schiff verstand Tobin neben ihm selbst wohl am besten, wie schwer die Last der Verantwortung wog. Er musste Entscheidungen treffen, die Leben oder Tod bedeuten konnten, er arbeitete unermüdlich und bekam selten Dank. Wenn es an Bord doch nur jemanden gäbe, der Kieran sagen würde, dass auch er seinen Job gut machte. Er sehnte sich nach etwas Bestätigung, nach jemandem, der ihm sagte, dass er nicht immer alles falsch machte. Aber inzwischen wusste er, dass Anführer das nicht von ihrer Crew erwarten sollten.
Einmal hatte er die Stimme, die ihn leitete, gefragt, ob er seine Sache gut machte, und er hatte geglaubt zu hören, was er hören wollte. Dennoch fragte sich ein Teil von ihm, ob er das nicht nur erfunden hatte.
Als er in sein Büro zurückkam, stand Waverly wartend vor der Tür.
»Wir müssen reden«, sagte sie, die Lippen zusammengepresst, der Blick störrisch. Ihre Stimme klang noch immer gepresst, aber von den Prellungen waren nur noch gelbliche Flecken geblieben, und sie wirkte ansonsten vollständig genesen.
»Ich habe jetzt keine Zeit.«
»Es dauert nur eine Minute.«
Er seufzte hörbar, schloss aber die Tür seines Büros auf und trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Sie ging hindurch, ohne sich bei ihm zu bedanken, und setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch. Er nahm auf seinem Stuhl Platz und musterte sie abwartend.
»Der Zentralrat möchte den Terroristen sehen«, sagte sie.
»Das kann ich nicht zulassen.«
»Warum nicht?«
»Aus Sicherheitsgründen.«
»Die Statuten des Schiffs besagen, dass der Rat Zugang zu jedem Gefangenen an Bord bekommen muss, um sich von dessen körperlicher Gesundheit und Geisteszustand zu überzeugen. Auf Seite zweiundvierzig kannst du das nachlesen.«
»Dann bist du in Sorge, dass ihm seine Mami fehlt?«
»Auf rechtlichem Weg kannst du uns nicht daran hindern, Kieran.«
Seine Augen schweiften hinüber zum Bücherregal des Captains, auf dem mehrere Bände mit Gesetzestexten standen. Anders als Waverly hatte er keine Zeit, sich genauer mit ihnen zu befassen.
»Das muss ich erst nachprüfen«, sagte er. »Kann es ein paar Tage warten?«
»Nein.«
»Du kannst mich nicht einfach damit überrumpeln.«
»Wie du siehst, habe ich genau das gerade getan.«
»Wann bist du ein solches Miststück geworden?«
Die Worte waren ausgesprochen, noch ehe er sie vollkommen durchdacht hatte. Dennoch entsprachen sie der Wahrheit. Sie war fordernd, unverschämt und schlicht untragbar geworden.
»Wie hast du mich gerade genannt?« Ihre Stimme schrillte in seinen Ohren.
»Ständig gehst du irgendwohin, wo du nichts zu suchen hast, und steckst deine Nase in Sachen, die dich nichts angehen.«
»Dass alles rund läuft auf diesem Schiff, geht jeden etwas an.« Ihre Stimme drohte zu kippen. »Das soll hier schließlich eine Demokratie sein.«
»Aber das macht mich nicht zu eurem Dienstboten.«
»Lässt du uns jetzt an deinem Schlägertrupp vorbei oder nicht?«
»Bevor ihr überhaupt versteht, um was es hier geht? Bevor ihr Informationen von mir über den Gefangenen bekommen habt? Ihr wollt einfach da reinrauschen und mitmischen?« Er schrie jetzt und konnte spüren, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg.
»Welche Ergebnisse hast du denn vorzuweisen? Er spricht ja nicht einmal mit dir!« Sie schnaubte. »Lass es uns zumindest versuchen.«
»Woher willst du wissen, dass er nicht mit mir gesprochen hat?«
»Meinst du, deine Wachleute würden nicht mit anderen reden?«
Harvey. Offensichtlich hatte er dem Rat Bericht erstattet. Sie hatte es geschafft, einen seiner loyalsten Gefolgsleute gegen ihn aufzubringen. Kieran sah sie durch zusammengekniffene Augenlider an. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ihr Fuß tippte unaufhörlich auf den Boden. Er knirschte mit den Zähnen, um seine Wut im Zaum zu halten.
»Wenn du so weitermachst, schaffst du es bestimmt, dass noch mehr Leute verletzt werden«, sagte er schließlich, die Stimme glatt wie ein Messer, das die weichste Stelle im Leib seines Gegenübers sucht und dann zusticht – schnell und präzise.
»Wovon redest du?« Sie war mit einem Mal kreidebleich geworden, und ihr Fuß hielt nun inne.
»Wärst du nicht gewesen, würde Philip jetzt nicht …« Doch dann verstummte
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