Sternenfinsternis (German Edition)
Ihre Furcht ließ kein rationales Denken mehr zu - niemand von ihnen schien begriffen zu haben, das es unmöglich war diesem unabwendbaren Schicksal zu entfliehen. Nur Lucas stand wie angewurzelt da, mit der Glasfront in seinem Rücken, als vor seinen Augen alles auseinander gezerrt und in seine atomaren Bestandteile zerrissen wurde. Erst die Rückwand der Kommandobrücke, dann die Personen, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten. Neben einigen der Brückencrew, erwischte es den schwergewichtigen Malloy, Gebieter über acht Welten, als einen der Ersten. Ob er nicht weglaufen konnte oder wollte, vermochte Lucas nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wie in Zeitlupe musste der Junge mitansehen, wie der gewaltige Leib des einst glorreichen Herrschers bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und schließlich auseinander gerissen wurde. Das Schwarz zerfetzte und verschlang alles. Wie ein unersättliches Monster, arbeitete es sich langsam zu ihm vor. Lucas wollte sich irgendwo festhalten, bevor es auch ihn zu fassen bekommen würde und er griff nach einer in der Wand verankerten Metallstange. Es war ein gewaltiger Kraftaufwand, sich der immensen Anziehungskraft zu widersetzen.
Er sah wie der Leichnam Galimes, ebenfalls von der immer stärker zunehmenden Gravitation erfasst und nach hinten gezogen wurde. Dabei fiel ihm Kisha auf, die sich verzweifelt an einer Konsole festhielt. Das Gesicht der Sha spiegelte ihre unsagbare Angst wieder - die Erkenntnis, das auch sie dieser Urgewalt nicht länger stand halten konnte. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie den Menschenjungen flehend an.
»L-u-c-a-s, h-i-l-f m-i-r !«, drang ihre Stimme dunkel und langgezogen zu ihm, wie ein Tonband das man viel zu langsam abspielte. Lucas wünschte er könne ihr auf irgend eine Weise helfen, doch würde er seinen Griff lösen, erginge es ihm vermutlich wie Galimes totem Leib. Er wäre ohne auch nur den Hauch einer Chance auf ihre Rettung zu erhalten, sofort ins Schwarz gezogen worden. Die Verzweiflung trieb ihm die Tränen in die Augen.
Kisha löste eine Hand von der Konsole, um sie dem Jungen ein letztes Mal hilfeersuchend entgegenzustrecken, als sie mit der anderen Hand den Halt verlor. Er sah der Sha mit entsetztem Gesichtsausdruck noch lange nach, auch wenn von ihr schon längst nichts mehr zu sehen war.
So irreal es auch war, dass Lucas tatsächlich so lange verharren konnte, desto schwieriger wurde es für ihn, nicht einfach loszulassen.
»Lucas!«, vernahm er plötzlich neben sich eine Stimme.
Es war Jaro, der ihm seine Hand entgegenstreckte. Lucas fasste nach ihm und erwischte den Syka an seinem Unterarm. Fest umschloss seine Hand das dünne Ärmchen, während Jaro sich zugleich an Lucas festklammerte.
Inzwischen waren alle anderen verschwunden, ohne das Lucas es bewusst mitbekommen hatte und auch von der Kommandobrücke der einst so prächtigen Bastille war kaum noch etwas übrig geblieben.
Mit unbändiger Gewalt riss es an ihm und Jaro, der bereits senkrecht mit den Füßen zu dem sich nach ihnen verzehrenden Nichts stand.
»Jaro. Ich kann uns nicht mehr lange halten«, vernahm Lucas seine eigene Stimme nur noch dumpf.
Dann sah er in das Gesicht des Syka, doch statt der erwarteten Furcht und der Panik, sah er ein Lächeln und Erlösung.
»Wir ziehen nur das Unausweichliche hinaus Lucas. Lass los Junge ... lass einfach los.«
... und Lucas ließ los.
Ein kurzer Schmerz durchfuhr seinen Leib, während er zu fallen glaubte – dann war alles vorüber ...
Kapitel 44
Ein neuer Keim
... und auf die Finsternis folgte ein Bild, dass ihm wohlbekannt war, vertraut und zugleich vollkommen wirklichkeitsfremd.
Verwirrt blickte er in den langen menschenleeren Korridor, erst nach links, dann nach rechts.
War alles nur ein böser Traum? Ein Streich, den ihm sein Unterbewusstsein spielte?
Doch wie konnte das sein? Alles war so real, und nichts von dem sollte tatsächlich geschehen sein?
Ein Traum? Prüfend sah er geradeaus und blickte in das Angesicht eines kurzhaarigen, blonden Jungen, dessen Augen so strahlend blau, wie eh und je waren. Nichts schien sich seit dem Zeitpunkt, wo er zum letzten Mal an dieser Stelle gesessen hatte, verändert zu haben – doch vielleicht war es gar nicht so lange her und er hatte wirklich nur für ein paar Sekunden die Augen geschlossen gehabt. Wie konnten jedoch die vergangenen Monate nur ein Traum gewesen sein?
Der Junge im Spiegel, der ihn von der anderen Seite aus anstarrte, war ihm plötzlich
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