Sternenlaeufer
brachte das Mädchen nach oben in ihr Zimmer, wo sich eine Magd um sie kümmern konnte, ergriff dann entschieden den Arm ihrer Tochter und führte sie den langen Flur entlang zu ihren eigenen Gemächern.
»Erkläre das«, verlangte Feylin. »Sofort.«
»Es wird dir nicht gefallen«, murmelte Sionell.
»Es gefällt mir schon jetzt nicht.«
Sionell zuckte mit den Achseln und trat zu einem kleinen Erker, von dem aus das Durcheinander im Hof zu sehen war. Die Soldaten hatten ihn bis auf die Wache neben der Treppe verlassen; dafür waren alle Diener damit beschäftigt, Dinge zu bringen und zu holen. Sionell setzte sich auf eine niedrige Holzbank mit geschnitzten Drachen und schaute zu ihrer Mutter auf. »Soweit ich das sehen kann, hat Miyon einen sehr interessanten Plan.«
»Und dieses Kind hat etwas damit zu tun?«
Sionell seufzte leise. »Sie hat alles damit zu tun.«
Als sie ihren Bericht beendet hatte, stieß Feylin einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen aus. »O Gott«, sagte sie. »Wie bin ich bloß zu einer so schlauen Tochter gekommen?«
Sionell ging schon früh in die Große Halle hinunter. Die Diener deckten noch die Tische und warfen ihr ein paar neugierige Blicke zu. Als Vorwand für ihre Anwesenheit beschäftigte sich Sionell mit den Blumen.
Das frühe Abendlicht fiel durch die Fensterwand auf Silber aus Fessenden, Kristall aus Firon und zarte Keramikplatten aus Kierst. Alles ist sehr eindrucksvoll, dachte Sionell missmutig. Rohan hatte keinen Trick ausgelassen.
Aber Miyon ebenso wenig. Pol hatte bereits Mitleid mit Meiglan, die sich, als Sionell sie kurz besuchte, noch immer wie im Schock befand, weil sie den Mann aus ihrem Traum erblickt hatte. Aber Miyon hatte nicht mit Sionell gerechnet, die beschlossen hatte, dass Meiglan Pol gerade nicht als einsames, kleines zitterndes Wesen, das immer in der Ecke stehen musste, vorgeführt wurde.
»Ich kann sie nicht klug machen«, hatte sie ihrer Mutter erklärt, »und ich kann sie auch nicht in eine Frau mit Witz verwandeln. Aber jemand, dessen Tisch- oder Tanzpartner Tallain oder Maarken oder Riyan ist, kann auf keinen Fall Mitleid erregend aussehen.«
Sie befragte die Diener über die Sitzordnung am Tisch der Hohen und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass keine Anweisung bestand, dass Meiglan dort sitzen sollte.
»Legt augenblicklich ein weiteres Gedeck auf«, befahl sie.
»Aber, Herrin, Ihre Hoheit hat nichts gesagt …«
»Bei allem, was Ihre Hoheit zu tun hat, ist es vielleicht kein Wunder, dass sie so etwas vergisst, oder? Bitte sorgt sofort für ein zusätzliches Gedeck.«
Als die Knappen eintrafen – Arlis, Edrel und ihr eigener Bruder Jahnavi würden heute Abend am Tisch der Hohen bedienen –, gab sie genaue Instruktionen für die Sitzordnung. Sie blinzelten ein wenig, als sie die Veränderungen mitbekamen, aber nur Jahnavi zog sie beiseite und musterte sie mit den blauen Augen ihres Vaters.
»Ich kenne dich, Ell«, meinte er tonlos. »Du führst etwas im Schilde.«
»Sei nicht albern. Niemand hat daran gedacht, Meiglan am Tisch der Hohen unterzubringen.«
Er verzog das Gesicht. »Irgendjemand hat sicher gehört, welch aufregende Tischdame sie ist.«
»Jetzt sei nicht auch noch frech. Oder überheblich. Sie kann nichts dafür, dass sie schüchtern ist.«
»Zwischen schüchtern und langweilig ist aber ein Unterschied. Schon gut, schon gut«, sagte er hastig, als sich ihre Brauen wütend zusammenzogen. »Aber ich finde immer noch, dass es gemein ist, sie Riyan und deinem eigenen armen Ehemann für den heutigen Abend aufzudrängen.«
»Sie kennt sie so gut, dass sie mit ihnen reden kann. Und wenn ihr Vater so viel weiter unten am Tisch sitzt, dann entspannt sie sich vielleicht sogar und hat ein wenig Spaß.«
»Wette lieber nicht darauf. Sie hat die ganze Zeit in Tiglath bei Tisch nicht mehr als sechs Worte herausgebracht. Und dies hier ist Stronghold. Ich meine, schau es dir doch nur an!«
Sionell war mit der Pracht und Eleganz dieses Schlosses vertraut, aber für Meiglan musste es erdrückend wirken. Sionell hantierte mit den Blumen und sagte sich, dass das Mädchen wenigstens nicht ganz allein an einem der unteren Tische sitzen würde. Und mit etwas Abstand zwischen ihr und ihrem Vater und unter Menschen, die sie bereits kannte, konnte Miyon sie möglicherweise nicht so einschüchtern.
Sionell hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass Miyon ihr Vorhaben so schnell durchschauen würde. Er ignorierte seine Tochter
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