Sternenlaeufer
während des ganzen Abendessens. Es war, als existiere sie überhaupt nicht, wie sie da in ihrem hellrosa Gewand mit dem hohen Spitzenkragen zwischen Tallain und Riyan saß. Sionell trug einen leuchtenden Grünton, den nicht einmal Sioned tragen konnte; ihre kräftige Farbe und das dunkelrote Haar, das Feylin ihr vererbt hatte, erlaubten ihr lebhaftere Töne, als Sioneds feuergoldenes Aussehen vertragen konnte. Aber im selben Augenblick, als sie Meiglan sah, wusste sie, dass das grüne Kleid ein Fehler gewesen war. Das Mädchen sah zarter und rehähnlicher aus denn je, und Sionell fühlte sich neben ihr wie ein Pflugelch.
Aber wenn Miyon beschlossen hatte, dass seine Tochter für ihn nicht existierte, so war sich Pol dieser Tatsache vollauf bewusst; häufige Blicke zu ihrem Ende des Tisches bewiesen das. Dabei musste er sich über seinen Teller beugen, um einen Blick auf sie werfen zu können. Sionell fragte sich langsam, ob ihm überhaupt bewusst war, wer dieses Mädchen war.
»Er muss erfahren, dass sie unmöglich ist«, hatte Feylin am Nachmittag gesagt.
»Er ist nicht dumm, Mutter. Aber niemand darf ihm sagen, dass sie unmöglich ist, sonst fallen ihm Dutzende von Gründen ein, warum sie es nicht ist. Mir fällt im Moment nur ein einziger ein – dass eine Allianz die Disharmonie zwischen der Wüste und Cunaxa beenden würde. Miyon kann die Merida schwerlich weiterhin unterstützen, wenn seine Tochter Pols Gemahlin wird.«
Pols Gemahlin. Die Worte summten in ihrem Geist, als sie einen weiteren Blick aus diesen blaugrünen Augen auffing. Sie lächelte und spielte mit den Saphiren um ihren Hals – ein Geschenk zu Antalyas Geburt –, als wollte sie ihm noch einmal dafür danken. Aber er bemerkte es nicht.
Tallain jedoch tat es. »Du vergeudest deine Zeit, meine Liebe«, flüsterte er.
»Wovon redest du?«
»Es ist unmöglich, einen Mann von der Ursache seiner Ablenkung abzulenken.« Tallain schüttelte den Kopf. »Er verbirgt es nicht sehr gut, was?«
»Allerdings nicht.« Sie signalisierte Jahnavi, er solle ihr noch ein Stück Pastete bringen.
»Keine Sorge. Sie ist natürlich reizend, aber Pol ist doch kein Narr.«
»Die meisten Männer sind Narren, wenn es um diese Dinge geht.« Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. »Du warst es schließlich auch.«
»Ich bin es noch. Und das weißt du. Sollen wir beide Narren sein und das Protokoll erschüttern, indem wir nur miteinander tanzen und mit niemandem sonst?«
»Oh, du musst die arme Meiglan ein- oder zweimal auf die Tanzfläche führen, um einen Anfang mit ihr zu machen. Wenn Chay oder auch Maarken sie als Erste fragen, dann wird sie sicher vor Schreck ohnmächtig.«
»Kann ich mir denken. Ell, könnte es sein, dass du mir irgendetwas verheimlichst?«
Sie erstarrte mit der vollen Gabel auf halbem Weg zum Mund und schaute ihn groß an. »Wie bitte?«
Er deutete auf die Pastete. »Wir haben unterwegs Halt gemacht, um etwas zu essen, also kannst du nicht gerade am Verhungern sein. Und als du das letzte Mal alles verschlungen hast, was dir unter die Augen kam …« Er verstummte und zog die Brauen hoch.
»Wann war – oh!« Sie lief rot an. »Nein, bin ich nicht.« Nachdem sie sich von ihrem kurzen Schock erholt hatte, fügte sie lachend hinzu: »Aber nicht aus Mangel an Versuchen!«
Tallain zuckte bescheiden die Achseln. »Ich bin gezwungen, zuzugeben, dass ich glaube, meine Pflicht erfüllt zu haben …«
»Idiot«, schalt sie liebevoll.
»Nun, ich versuche es.« Er grinste. »Aber hör in der Zwischenzeit bitte auf zu essen, wenn du nicht für zwei isst!«
Sie verzog das Gesicht und aß die Pastete auf. Als Jahnavi kam, um Taze einzuschenken, schüttelte sie dann aber den Kopf angesichts der Süßspeisen, die dazu angeboten wurden. Voller Bedauern allerdings, denn nirgendwo sonst als in Drachenruh und der Felsenburg gab es solche Wunder an würzigen Samen und kandierten Früchten mit Zuckerguss.
Zwischen den Gängen waren einzelne Musikanten allein aufgetreten, aber jetzt versammelte sich das gesamte Hausorchester. Während Diener die Tische der Unteren aus dem Weg räumten, griffen viele von Strongholds Gefolgsleuten nach ihren Instrumenten. Rohans Mutter hatte seinen Vater jahrelang angefleht, er möge bitte Musikanten in Dienst stellen, aber Zehavas Antwort war immer gewesen, er habe nicht vor, zwanzig oder dreißig Parasiten durchzufüttern. Rohan war derselben Meinung. Deshalb wurde Musik in Stronghold nicht von Berufsmusikanten
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