Sternenlaeufer
war in Wirklichkeit eine Narbe auf ihrer Wange. Andrade hatte ihr vor langer Zeit erzählt, dass Visionen sich erfüllen würden, wenn man nur daran arbeitete, dass sie sich bewahrheiteten. Der Unterschied zwischen dem, was sie gesehen hatte, und dem, was geschehen war, wurde durch die halbmondförmige Narbe in ihrem Gesicht symbolisiert, aber das hatte sie bis zum heutigen Abend nie beunruhigt. Jetzt erschreckte es sie. Vielleicht bedeutete es, dass sie einen Fehler begangen hatte, als sie Pol holte, dass es falsch gewesen war, Feruche zu zerstören.
Doch als sie einen Blick auf ihn riskierte, zerstreuten sich ihre Zweifel. Selbst wenn er ihr niemals verzeihen würde, selbst wenn er nicht ihr Sohn war, so gehörte er doch Rohan. All seine Kraft und sein Stolz, seine Intelligenz und seine Macht wären verdreht worden, wenn Ianthe ihn aufgezogen hätte. Was Sioned getan hatte und wie sie es getan hatte, war nicht falsch gewesen.
»Vater?«, hörte sie Pol. »Was gibt es?«
»Warte bis die anderen hier sind. Ich möchte das nur einmal erklären.«
»Welche anderen?«
»Wenn du nichts Wichtiges zu sagen hast, schweig!«, fuhr Rohan ihn an.
Pol erstarrte und erwiderte kalt: »Wie Ihr wünscht, Hoheit.«
Myrdal schnaubte. »Aber, aber. So stachlig wie ein Pemida -Kaktus heute Abend, was?«
Die Situation wurde durch das Eintreffen von Maarken und Riyan gerettet. Rohan hatte darauf bestanden, dass Arlis die Einladungen ganz formell vorbrachte; die beiden jungen Männer verstanden und verneigten sich vor dem Hoheprinzen und sagten nichts, bevor sie nicht angesprochen wurden. Rohan begrüßte sie mit einem Nicken und den Worten: »Ich vertraue darauf, dass Ihr Eure vielfältigen Talente selbst mitten in der Nacht einzusetzen versteht.«
»Unsere Gaben stehen Hoheit zur Verfügung«, bekräftigte Maarken.
Chay kam mit Andry neben sich, gerade rechtzeitig, dass sie Maarkens Worte hören konnten. Andrys Lippen wurden schmal, als er dieses Angebot seines Bruders, Lichtläuferfähigkeiten einem Prinzen zur Verfügung zu stellen, hörte. Er näherte sich Rohan sehr kühn und erklärte: »Ich werde hier eingesperrt wie alle anderen, auch wenn wir beide wünschen, dass ich gehe. Ihr wünscht vielleicht nicht meine Gegenwart, aber möglicherweise die des Herrn der Schule der Göttin.«
»Wir heißen Euch willkommen, Herr«, antwortete Rohan ruhig.
Besänftigt, aber wachsam nickte Andry.
Sioned gesellte sich nicht zu ihnen. Sie wartete im Schatten der Tür und beobachtete Pols Gesicht.
»Wir haben Stronghold von allen Bewohnern räumen lassen, die offen auftreten«, erklärte Rohan. »Jetzt wird es Zeit, sich um die zu kümmern, die weniger offen auftreten.« Ohne weitere Erklärung ergriff er Myrdals Arm und half ihr die Treppe hinauf.
Die anderen folgten, und auf ihren Gesichtern standen Verwirrung, Neugier und Sorge. Noch immer hielt sich Sioned zurück. Und was sie sich beide wünschten und auch beide fürchteten, geschah. Pol stieg nur zwei Stufen empor, blieb dann stehen, wandte sich um und kam zu ihr.
Sioned hielt den Atem an. Sie zwang sich, Pol in die Augen zu blicken, als er vor ihr stehen blieb. Seine Augen waren voll Scham.
»Ich … Es tut mir leid. Ich habe nie daran gezweifelt, dass du mich liebst.« Er berührte die Narbe auf ihrer Wange. »Ich … ich habe nur niemals diese Art von Beweis erwartet. Dass du meinetwegen so viel riskieren würdest.«
Zögernd umfasste Sioned sein Gesicht. Sie fürchtete, er würde zurückweichen. Doch er tat es nicht. In ihren Augen brannten Tränen.
»Ich habe dich schon geliebt, ehe du auch nur geboren warst«, murmelte sie. »Ich habe dich gesehen, und du warst mein. Ich habe dich benannt, dich gelehrt, dir alles gegeben, was mir selbst etwas bedeutet hat. Aber jetzt bist du nicht mehr mein, Pol.« Seine Augen weiteten sich in Protest, und sie schüttelte den Kopf. »Lass mich ausreden. Du gehörst nur noch dir allein. Das bedeutet es, die Kindheit hinter sich zu lassen. Niemand kann etwas von deinem Herzen besitzen, wenn du es nicht so willst. Was immer du für mich fühlst …«
»Ich liebe dich«, sagte er. »Bitte, weine nicht, Mama.«
Tränen liefen über ihre Wangen. »Ach, verdammt, ich hatte mir geschworen, nicht zu …«
»Ssch. Ich liebe dich.« Pol umarmte sie kurz und kräftig. Dann trat er zurück und hielt ihr eine Hand hin. »Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir es.«
Sie wischte die Tränen aus ihrem Gesicht. »Ja.« Sie brachte ein
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