Sternenlaeufer
sich unter ihm; mehr Hände, als möglich waren, berührten seinen Körper in obszönen Liebkosungen. Ein Kreischen hallte endlos in seinem Schädel wider, ein Geheul, halb Lachen und halb Jagdschrei.
Aber die graugrünen Augen mit ihrem roten Schimmer waren immer noch die von Mireva.
Dieser Fehler von ihr erhielt ihm seine geistige Unversehrtheit. Er war sehr nahe daran, den Kampf mit dem Schrecken zu verlieren, als ein letztes Restchen von Verstand ihm sagte, dass es sich um eine Illusion handelte: Ganz gleich wie entsetzlich sie war, es war nur eine Illusion. Die Angst löste ein Schluchzen in seiner Kehle, aber er bohrte die Daumen so fest, wie er konnte in den Nacken und versuchte, die Knochen zu zerschmettern. Er konzentrierte sich auf seine eigenen Hände, den Mondsteinring, den Amethyst der Prinzenmark, die weißen Knöchel und die Schwäche, die seine Finger zucken und zittern ließ, so dass er nicht töten konnte.
Hände, die den seinen sehr ähnlich waren, griffen nach unten. Er versuchte, sie nicht anzusehen, denn er fürchtete, es könnte sich um eine weitere Beschwörung handeln. Aber ein Finger trug einen Topas, umringt von Smaragden. Die Hände arbeiteten schnell in der Nähe des massiven Kiefers. Und das Ungeheuer brüllte vor Schmerz auf.
»Tut weh, was?«, meinte Rohan.
Mireva wand sich wie tödlich verletzt am Boden. Pol wich zurück. Er war verblüfft, dass das Ding plötzlich verschwunden war. Rohan schob ihn beiseite und fesselte geschickt die Handgelenke der Frau mit einem dünnen Draht. Dann packte er Pol bei den Schultern.
»Alles in Ordnung?« Pol nickte stumm, und Rohan seufzte erleichtert. Er hockte sich auf die Fersen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, ehe er sanft fragte: »Nun? Findet meine Version des Handelns deine Billigung?«
Pol lief rot an und blickte fort. Kerzenlicht ergoss sich aus dem äußeren Raum über Mirevas Oberkörper. Sie lag jetzt still, den Kopf zu einer Seite gewandt. Und dann sah Pol es: Ein dünnes, silbriges Schimmern wand sich um ihr Ohrläppchen. Nein, nicht Silber. Stahl. Er starrte seinen Vater erstaunt und bewundernd an. Rohan lächelte knapp.
»Das bringt sie nicht um. Sie sind nicht so anfällig für Eisen wie Lichtläufer. Aber wenn sie auch nur den geringsten Versuch zu einem Zauber macht, wird ihr neuer Ohrring ihr alle Schmerzen der Hölle bescheren.« Achselzuckend erklärte er: »Nicht sehr elegant, aber wirkungsvoll.«
Beim zweiten Versuch kam Pol mit Hilfe seines Vaters auf die Füße. »Warum hast du sie nicht einfach getötet?«
»Weil es noch andere wie sie gibt. Und es könnte nützlich für uns sein, dass wir sie besitzen. Ruval gegenüber. Außerdem habe ich etwas anderes mit ihr vor. Etwas Besseres.«
Nie zuvor hatte Pol in den Augen seines Vaters den Tod einer anderen Person gesehen. Er fragte sich plötzlich, ob dieser Blick auf Ianthe gefallen war. Auf seine Mutter.
Rohan rieb abwesend seine verletzte Schulter. »Ich glaube, im Keller gibt es passende Unterkünfte. Überbleibsel aus unserer barbarischen Vergangenheit«, fügte er ironisch hinzu. »Pol und Maarken, wenn ihr beide bitte so gut sein würdet, sie dorthin zu geleiten, wenn sie wieder zu sich kommt. Aber ich sehe, das ist bereits der Fall.«
»Rohan? Willst du die ganze Nacht da drin bleiben?« Chays Stimme eilte seinem Schatten im Durchgang voraus. »Was ist los?«
»Geduld«, kam die Antwort. »Geh raus und erzähle allen, dass sie wieder in ihre Betten zurückkehren können. Wir sind hier fast fertig.«
»Was ist mit Ruval?« Das war Sioned. »Er ist doch immer noch irgendwo.«
»Ja?«, grübelte Rohan. »Da bin ich nicht sicher.«
Pol stieß Mireva mit der Zehenspitze zwischen die Rippen und fragte: »Nun? Wo steckt Ianthes Ältester?«
Mireva funkelte sie an. »Er hat sich dort versteckt, wo ihr ihn niemals finden werdet: in den Mauern dieses Schlosses!«
Rohan lächelte. »Danke. Du hast mir gerade klargemacht, dass er nicht hier ist. Wenn er es wäre, dann hättest du mit seiner Flucht geprahlt, um mir anschließend zuzuschauen, wie ich für den Rest der Nacht das Schloss durchsuche. Dann lass uns mal überlegen, wie er aus Stronghold entflohen sein könnte? Ach ja, natürlich. Die Wachen, die ich heute ausgesandt habe, damit sie in den Bergen nach euch suchen. Ich dachte mir schon, dass das ein Fehler sein könnte, aber – nun, egal.«
Mireva spuckte ihn an, und in ihren Augen war zu erkennen, dass seine Schlussfolgerung richtig war.
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