Sternenlaeufer
einmal wie ihr Vorfahr, der sich nur an der Macht ergötzt hatte. Ruval war so, wie Masul gewesen war: ein verbitterter Ausgestoßener, der entschlossen war, grimmige Vergeltung zu üben für das, was ihm seiner Meinung nach angetan worden war. Aber der Thronbewerber war nur ein Mensch gewesen. Ruval war ein Zauberer. Wenn er diesen Kampf gewann, dann wäre Pols Tod nur der erste.
Andry würde der Nächste sein, der einzige andere Mensch, der ihm zu seinen eigenen Bedingungen gegenübertreten konnte. Die Göttin allein mochte wissen, was er dann Rohan und Sioned und jenen antun würde, die Pol liebte. Und Meggie …
Er verlagerte sein Denken und Fühlen und unterdrückte bewusst die Furcht, die ihn nur ablenken und ihm schaden konnte. Es war die Ruhe, die zu suchen ihn sein Vater beim Rialla gelehrt hatte. Er zwang sich zu dieser Geduld, die es ihm ermöglichte, Bedeutungen hinter Bedeutungen zu erkennen. Und dann lauschte er seinem eigenen Geist, seinem eigenen Herzen.
An die Stelle, wo Wut gewesen war, rief er seine lebenslange Ehrfurcht vor Drachen. Er rief sich Kindheitserinnerungen zurück, wie er auf Strongholds Zinnen gestanden hatte, während Drachen den Himmel mit dem Wind ihrer Schwingen erfüllten. Er erinnerte sich an diesen ersten Ritt ins Tal von Drachenruh, daran, wie seine Mutter mit dem Drachen kommuniziert hatte, den sie Elisel nannte. Er füllte sich mit den Schwingen, den Farben und Stimmen der Drachen, mit seiner Freude, wenn er sie beobachtete, seinem Entzücken, wenn sie nach Drachenruh flogen und sich an dem Festmahl gütlich taten, das er freudig anbot. Er schwelgte in ihrer Kraft und Schönheit und Freiheit, und sogar als der Altdrache in einem weiteren Angriff heranrauschte, lächelte Pol noch. Vielleicht stimmte es, dass ein Gefühl für Drachen von Zehava zu Rohan und nun an ihn weitergegeben worden war, dass seine Linie wirklich den Titel des Azhrei verdiente; er wusste nur, dass er die Drachen aus Gründen liebte, die ihm selbst unverständlich waren. Er gehörte so gewiss zu ihnen wie sie zum Wüstenhimmel.
Plötzlich war es so, wie es im Frühjahr gewesen war – ein unglaublicher Wirbel von Macht und Farben, die mit seinen eigenen verschmolzen. Es gab keine Worte, nur Gefühle. Aber diesmal spürte er nicht die Sorge eines sterbenden Drachen, sondern die Wut eines sehr kräftigen. Ganz schwach, wie aus weiter Ferne, spürte er, dass Ruvals Kontrolle nachließ, und das Gebrüll des Drachen hallte durch sein Herz, als sie sich gemeinsam befreiten.
Noch ein paar weitere Augenblicke lang war Pol dieser Drache. Die Kraft, die neu durch Blut und Muskeln strömte, war sein; der mächtige Schlag der Flügel, das Rauschen des heißen Windes, als er den Flammen auswich, die an den Mauern von Rivenrock emporzüngelten. Und er wusste, nicht in Worten oder zusammenhängenden Gedanken, sondern in einem reinen, wilden Gefühl, was der Drache tun würde.
Im nächsten Augenblick fühlte er, wie die Felsen seine frischen Knie mit neuen Schmerzen quälten. Der Drache war ihm so nahe, dass er Sand über ihn sprühen konnte und ihn mit der ausgebreiteten Flügelspitze fast berührte. Und dann rauschte er mit ausgestreckten Krallen über den Sand. Die Krallen gruben sich in Ruvals Umhang. Blut spritzte, Rippen krachten und ein einzelner Schrei ertönte. Pol legte den Kopf in den Nacken, rang nach Atem und sah wie gebannt, dass der Drache seine Beute hinauf in den Sternenhimmel trug.
Tage später sollten sie auf halbem Weg durch den Weiten Sand einen verkohlten Haufen von gebrochenen Knochen finden, dazu Lichtläuferringe und eine halb geschmolzene Goldmünze mit Roelstras Konterfei.
Meiglan befreite ihren Arm aus dem Griff ihres Vaters und rannte los. Sie warf sich dem überraschten Pol in die Arme. Noch immer hin- und hergerissen zwischen Entsetzen und Freude, wusste sie nicht einmal, dass sie weinte.
Rohan half Sioned auf die Füße und fuhr mit den Fingern besorgt über die halbmondförmige Narbe, die sich deutlich von ihrer weißen Wange abhob. Sie schenkte ihm ein winziges Lächeln zur Beruhigung. Dann sank sie in den Sand und flüsterte: »Ich … ich fühle mich ein wenig schwach.«
Morwenna kam fluchend auf die Knie. Ihr Kopf schmerzte, als hätte sie seit den Feierlichkeiten zum neuen Jahr starken Wein getrunken, und ihre Finger fühlten sich an, als wären sie bis auf die Knochen verbrannt. Ihr Körper schmerzte so sehr, dass sie vermutete, die Knochen würden sich aus den Gelenken
Weitere Kostenlose Bücher