Sternenlaeufer
dass Andrev und Tobren einzig und allein als Faradh’im aufgezogen wurden, ohne Bindungen an die Wüste und daher auch ohne Loyalität ihr gegenüber. Sioned konnte sich gut vorstellen, was Lord Chaynal – ganz zu schweigen von seiner Frau – dazu zu sagen hatte.
Tobias hatte ihre großmütterlichen Instinkte schließlich beruhigt, indem sie sich bei der Rialla -Messe einem Einkaufsrausch hingegeben hatte. Diese Sammlung von Spielzeug, Kleidung und anderen Kleinigkeiten half Sionell jetzt für die Kinder einpacken und beschriften – während Tobias mit sich unzufrieden war, weil sie sie nicht schon zwei Tage zuvor bei Andrys Abreise fertig gehabt hatte.
»Er musste natürlich überstürzt losreiten, weil er wusste, dass ich etwas für die Babys habe! Ich schwöre, eines schönen Tages ziehe ich diesem Knaben die Haut bei lebendigem Leibe über die Ohren.«
Mit einem Blick auf die Päckchenstapel und all die Dinge, die noch eingewickelt werden mussten, lachte Sioned. »Klug von ihm zu fliehen, solange er noch Gelegenheit dazu hatte. Ehrlich, Tobias, zwei Packwagen und vier Lastpferde werden nötig sein, um all das zur Schule der Göttin zu bringen.«
Unschuldig meinte Sionell: »Der Ponywagen, den sie ihnen gekauft hat, sollte auch noch eine ganze Menge aufnehmen können.«
»Gütige Göttin, erinnere sie nur nicht daran!«, flehte Sioned. »Sie wird sonst noch den Händlern nachrennen und den ebenfalls beladen.«
»Nur zu, spottet nur über mich.« Tobin verzog das Gesicht. »Warte nur, bis du Großmutter bist, Höchste Prinzessin.«
Vorsichtig hielt Sionell ihren Kommentar zurück, dass Sioned lange vor einer Schwiegertochter Enkelkinder haben könnte, wenn Pol seine Ehe wieder hinausschieben und es mit den Dienerinnen treiben würde, wie er es jetzt tat. Seine Schlafzimmeraffären gingen niemanden etwas an außer ihm – nicht einmal seine Mutter. Und ganz gewiss nicht mich! Dieses Schwein!
Sie war dabei, einen Stapel Hemden zusammenzulegen; als sie aufblickte und sah, dass Tobin und Sioned zu den Fenstern geeilt waren. Einen Augenblick später schien der ganze Turm zu erzittern, als arrogantes Gebrüll die morgendliche Stille durchschnitt.
Drachen.
Sionell war als Erste die Treppen hinuntergerannt. Atemlos kam sie vor dem Turm an und starrte zu einem Schwarm Drachen empor, der auf den See zuhielt. Die Verhaltensmaßregeln, die ihre Mutter ihr für die Beobachtung der Tiere hatte angedeihen lassen, kämpften kurz mit dem schieren Entzücken, sie zu sehen. Die Gefühle gewannen, wie immer. Wenn es einmal nicht mehr so sein würde, würde sie ihren Scheiterhaufen bestellen – denn dann konnte der Tod gewiss nicht mehr weit sein.
»Ich komme nie darüber hinweg«, murmelte Sioned neben ihr, als hätte sie Sionells Gedanken gehört. »All diese Jahre beobachte ich sie nun schon überall, von Remagev bis Waes, und trotzdem habe ich mich noch nicht an ihre Schönheit gewöhnt.«
Andere gesellten sich auf dem grasbewachsenen Hang vor der Prinzenhalle zu ihnen: Sionells Eltern, Maarken, Hollis, Arlis und der Hoheprinz selbst. Er trug kein Hemd und keine Schuhe, und sein feuchtes helles Haar zeigte, dass er aus dem Bad gesprungen war und gerade noch daran gedacht hatte, in eine Hose zu schlüpfen. Er sah so jung aus wie sein Sohn, als er verzückt und begeistert das Gesicht gen Himmel wandte.
»Sionell!«
Als sie sich umwandte, sah sie Pol auf einem seiner Goldenen Pferde heranreiten. Mit strahlenden Augen zügelte er das Tier und winkte. Sie ergriff seine Hand, benutzte seinen gestiefelten Fuß als Steigbügel und schwang sich hinter ihm in den Sattel.
»Schneller!«, drängte sie, als er die Stute zum Galopp antrieb, und lachte in den Wind.
Einige der Drachen spielten bereits am Seeufer. Andere, die nach einem langen Flug hungrig waren, stürzten sich auf die entsetzten Schafe, die als Futter für sie angebunden worden waren. Ein drei Jahre altes graues Weibchen mit prachtvollen schwarzen Unterflügeln schwebte in elegantem Gleitflug herab, packte mit einem Hinterfuß ein ganzes Lamm, brach ihm mit einer Drehung der vorderen Klauen das Genick und landete problemlos am gegenüberliegenden Ufer. Sie fauchte einen Jungdrachen an, der versuchte, ihr das Mahl zu stehlen, und schickte sich dann an, das Schaf gierig zu verschlingen. Das alles dauerte nicht länger als zwanzig Herzschläge.
Sionell glitt vom Pferd, ehe Pol die Stute zum Stehen bringen konnte. Gleich darauf stand er neben ihr, nachdem er das
Weitere Kostenlose Bücher