Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
Vom Netzwerk:
genug Wasser für eine einfache Beschwörung übrig. Er war sich bewusst, dass er das Ritual nicht so vollzog, wie es seit vielen hundert Jahren vorgeschrieben war. Er hatte die Nacht davor nicht mit einer Faradhi- Frau verbracht, die die Maske der Göttin trug und ihn zum Mann machte – seine Initiierung war von einer reizenden, begeisterten Küchenmagd in Graypearl übernommen worden. Aber er folgte Meaths Anweisungen und rief das Feuer über dem seichten Wasser an. Und darin hatte er nur sich selbst gesehen: ein voll ausgereiftes Gesicht, stolz, ernst, aber jederzeit zu einem Lachen bereit und mit dem königlichen Reif auf der Stirn. Seine Mutter hatte das Antlitz ihres künftigen Gemahls ebenso gesehen wie das ihre, und Pol hatte sich eine ähnliche Vision erhofft. Aber da war nur dieses eine Gesicht gewesen, sein Gesicht. Er hatte es überrascht und mit schüchterner Billigung gemustert. Es würde ihm gefallen, dieser Mann zu sein, alt genug, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sein eigenes Leben zu führen.
    Bei der Erinnerung grinste er jetzt reumütig. Wenn er gedacht hatte, sein Leben würde einfacher, wenn er erst einmal selbst die Kontrolle darüber hatte, dann war er noch ahnungsloser gewesen als die meisten Knaben. Er genoss es, seinen eigenen Palast zu regieren, während er von Ostvel lernte, ein ganzes Prinzentum zu leiten, und seine Gäste, seine Gärten, seine alltäglichen Aktivitäten und – um der Wahrheit die Ehre zu geben – seine Bettgenossinnen machten ihm Spaß. Aber wenn er in den Flammen einen kurzen Blick auf die Gemahlin hätte erhaschen können, die ihm bestimmt war, dann hätte er wenigstens gewusst, nach wem er Ausschau halten musste. Und er hätte Klarheit über diesen Teil seines Lebens gehabt.
    Plötzlich konnte er wieder hören, wie Sionell ihn ausgelacht hatte. »Armer Prinz!«, hörte er sie sagen. »So reich, dass er nicht weiß, was er damit anfangen soll, mit dem schönsten Palast, der je erbaut worden ist, mit feinen Pferden in den Koppeln, und mit zwei Prinzentümern, die er eines Tages regieren soll – und da tut er sich selbst leid, weil er nicht die Frau finden kann, die dieses perfekte Bild vollendet! Armer, armer Prinz!«
    Seine Fantasie brachte ihm die Erinnerung an ihren Spott zurück, der gleichzeitig liebevoll und spitz war, an das ironische Funkeln in ihren blauen Augen unter den Locken aus dunkelrotem Haar. Wenn er doch nur eine Frau mit Ells Verstand und Einfühlung finden könnte, eine Frau, mit der er reden und auf die er sich verlassen könnte. Tallain war ein glücklicher Mann.
    Ein Blick auf die Sonne erinnerte ihn daran, dass er am Spätnachmittag noch eine Verabredung mit einem Abgesandten aus Gilad hatte. Er freute sich nicht darauf, aber es war zumindest eine Ablenkung. Er lief in seine eigenen Gemächer hinauf und wusch sich den Schmutz und Gestank von Pferden und seinem beschämenden Kontakt mit dem Boden ab. Er wollte gerade wieder nach unten gehen, als sein Knappe entrüstet mit einem der lässig-eleganten Kleidungsstücke herbeieilte, die seine Tante Tobin ihm regelmäßig sandte. Sie zweifelte daran, dass er jemals den richtigen Instinkt für sein Auftreten entwickeln würde, etwas, was seinem Vater angeboren war. Pol hatte keine gute Hand für seine Kleidung und neigte dazu, wichtige Persönlichkeiten in staubiger Reitkleidung oder mit Spuren seiner Rosenbeete an den Hosen zu begrüßen, statt in Seide und Samt, wie es seiner Stellung entsprach. Tobins Geschenke waren ein Kompromiss. Sie waren so bequem und lässig wie Alltagskleider geschnitten, aber aus prächtigen Materialien gearbeitet, die sie selbst auswählte, wenn die Seidenschiffe in den Hafen von Radzyn einliefen. Pol zog die Nase kraus, als er das grüne Hemd, die dunkelblaue Tunika und die graue Hose sah, die ihm zur Inspektion vorgelegt wurden. Doch dann lachte er, als das Gesicht des Knaben störrische Entschlossenheit verriet.
    »Sieh mich nicht so böse an, Edrel«, schalt er. »Ich weiß, dass ich für die Giladaner gut aussehen muss.«
    »Sehr wohl, Herr.« Edrel war dreizehn Jahre alt, fast so dunkel wie ein Fironeser und der jüngere Sohn von Pols Vasallen Lord Cladon aus River Ussh. Er war seit einem Jahr in Drachenruh und war der erste Knappe von Pol. Seine Pflichten nahm er absolut ernst. Pol hatte versucht, ihm ein wenig Humor beizubringen, aber bislang hatte er damit wenig Glück gehabt.
    Während er ihm die Kleider reichte, beschrieb Edrel mit knappen Worten

Weitere Kostenlose Bücher