Sternenschimmer
meine Mutter und Iason fast ununterbrochen an meinem Bett saßen. Ich war kaum ansprechbar, und auch ihre Stimmen drangen so schwach zu mir durch, dass ich sie nur selten verstehen konnte.
Die meiste Zeit hatte ich fast komplett verschlafen. Die Schwester hatte mir wohl Schmerzmittel eingeflößt, die ausgereicht hätten, um einen Stier zu betäuben.
Als ich aber jetzt die Augen aufschlug, fühlte ich mich schon etwas besser. Von draußen hörte ich das Geklapper des Frühstückswagens, der gerade über den Gang gefahren wurde. »Hans-Joachim«, drang der Ruf einer Schwester durch die geschlossene Tür. »Zimmer fünfunddreißig möchte noch Tee.« Ich gähnte, was mir zu meiner Erleichterung wesentlich weniger wehtat als in den letzten Tagen.
Iason saß an meinem Bett. Die Arme auf meiner Decke verschränkt, lag er mit dem Kopf darauf und schlief. Sachte streckte ich die Hand nach ihm aus in der Erwartung, für diese Bewegung mit einem stechenden Schmerz büßen zu müssen. Aber es war lediglich noch ein unangenehmes Pochen. Ich strich ihm das Haar aus der Stirn. Es fühlte sich wie Seide an.
Er hob den Kopf und richtete sich auf. »Morgen«, begrüßte er mich mit einem verschlafenen Blinzeln.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte ich.
»Eine Weile.«
Eine Weile war ein dehnbarer Begriff, und ich erinnerte mich dumpf, dass er gestern Abend noch bei mir war, als es draußen schon gedämmert hatte. »Bist du heute Nacht überhaupt in deinem Zimmer gewesen?« Ich versuchte ein strenges Stirnrunzeln. Es ging, wenn auch nur kurz.
»Die Schwester hat mich irgendwann rausgeworfen«, gestand er.
Ich nahm seine Hand und wollte sie näher zu mir heranziehen, als es klopfte.
»Hallo, Schatz.« Meine Mutter kam mit Orangensaft und einem Metzgertütchen bestückt auf uns zu. »Deine Lieblingswürstchen«, sagte sie und wedelte übertrieben gut gelaunt mit der Tüte.
»Guten Morgen, Ariane.« Iason wollte aufstehen und ihr seinen Platz überlassen, aber sie winkte entschieden ab, stellte ihre Mitbringsel auf den Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante am Fußende.
»Wie geht’s dir heute?«, frage sie und strich über mein Bein.
»Besser«, sagte ich.
Tränen der Erleichterung traten in ihre Augen. »Dass du so etwas getan hast.«
»Was?«
»Na, dass du mit Iason in den brennenden Keller gegangen bist, um die Kleine zu retten. Wie heißt sie noch mal?«
»Hope«, ergänzte Iason.
Und da wusste ich, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hatte.
Vorsichtshalber sagte ich nur »Ah« dazu, weil ich mir noch nicht im Klaren war, wie ich mir auf diese Weise eine Kopfverletzung zugezogen hatte.
Meiner Mutter fiel das sofort auf. »Du weißt nichts mehr davon?«
»Ich hab die Dinge nur sehr verschwommen in Erinnerung.«
»Die Decke ist über uns eingestürzt«, half Iason mir aus.
»Ah«, machte ich wieder.
Meine Mutter lächelte tapfer. Ihre Sorge und den Schock wischte das aber nicht aus ihrem Gesicht.
»Und wie geht es dir?«, wandte sie sich an Iason.
Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, seine Schultern würden sich anspannen. Er deutete ein Kopfschütteln an, woraufhin die Miene meiner Mutter einen Ausdruck bekam, der sich mir nicht erschloss.
Ich spürte, wie mich eine seltsame Unruhe überfiel.
Meine Mutter beugte sich zu mir vor. »Ich soll dir übrigens einen schönen Gruß von Greta bestellen. Sie hat vorhin angerufen.«
»Danke«, sagte ich. »Hat Lena sich mal gemeldet?«
Sie tätschelte mein Knie. »Gib ihr noch etwas Zeit.«
Ich seufzte, was mich einen weiteren Schmerzensstich kostete. Hatte Iason nicht gesagt, dass wir schon zwei Wochen hierwaren? Ob sie mir jemals verzeihen könnte? Allmählich verließ mich die Hoffnung. Ich seufzte erneut, diesmal etwas vorsichtiger. »Schenkst du mir was von dem Saft ein«, bat ich Iason.
Er zögerte zunächst, ließ dann aber meine Hand los und wollte sich gerade zum Nachttisch drehen, als meine Mutter ihm auf hastige Weise zuvorkam. »Ich mach das schon«, sagte sie und griff nach der Saftflasche.
Vorsichtig nippte ich an meinem Glas. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich nahm einen letzten Schluck und hielt es anschließend Iason hin. »Willst du auch?«
Er schüttelte den Kopf.
»Kannst du es mir dann auf den Nachttisch stellen?«
Als meine Mutter nach dem Glas greifen wollte, hielt ich es fest. »Iason?«, fragte ich.
Ein Schatten fiel auf seine Züge. Langsam streckte er die Hand aus – und griff daneben.
Ich merkte, wie
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