Sternenschimmer
kleinen braunen Ledersesseln ausgestattet. Ein weit gefächerter Deckenventilator sorgte für einen angenehmen Luftzug, der kühlend über unsere sonnenerhitzten Wangen strich.
Iason deutete auf einen freien Zweiertisch am Fenster, von dem man einen herrlichen Ausblick auf den Stand genießen konnte. »Möchtest du dort sitzen?«
»Klar«, sagte ich.
Erneut ließ er mir den Vortritt.
Einander gegenüber nahmen wir Platz. Iason reichte mir die Speisekarte. Ich spähte hinein und überlegte kurz, ob ich mir einen kleinen Scherz erlauben und mir eine Schlachtplatte bestellen sollte. Aber dann entschied ich mich doch für einen Feldsalat mit Pinienkernen. Als ich gewählt hatte, klappte ich die Karte zusammen und reichte sie ihm. Doch er nahm sie nicht. Den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, rieb er sich das Kinn und sah mich an.
»Was ist?« Nervös fuhr ich mir durchs Haar. Für einen Moment lief ich Gefahr, mich in seinen Augen zu verlieren. Doch inzwischen war ich geübter.
»Ich werde nicht schlau aus dir, Mia.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. »Warum machst du das? Die ehrenamtliche Arbeit im Tulpenweg? All die Überstunden, warum?«
»Weil es das Richtige ist«, erwiderte ich sofort.
Er legte die Unterarme auf und beugte sich vor. »Was ist richtig?«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte ich. »Ich bin halt so.«
»Du meinst, du bist richtig?«
Ich zuckte vage die Schultern. »Im Großen und Ganzen schon, glaube ich.«
In dem Moment kam die Kellnerin.
Ich sah zu ihr hoch. »Äh, ich hätte gern die Nummer vier.«
Iason reichte ihr die Speisekarte, ließ aber nicht den Blick von mir. »Für mich das Gleiche, bitte.«
»Ach, nee, da sind ja Mia und Iason!«
Ich wandte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Lena saß mit Barbara, einer unserer engsten Freundinnen, in der Sitznische auf der anderen Seite. Barbara Martin war von der Sorte Mensch, durch die irgendwie jeder hindurchsah. So richtig erklären konnte ich mir das selbst nicht. Zugegeben, Barbaras scheue Art machte es einem oft nicht einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Aber was sie mit ihrer Verschlossenheit verbarg, war jede Mühe wert, sie kennenzulernen. Wer sie erst einmal geknackt hatte, der kam nicht mehr an ihr vorbei. So sah ich das jedenfalls – und winkte den beiden. Lena stand vom Tisch auf und kam auf uns zugeschossen.
»Hier seid ihr also. Warum wart ihr nicht in der Schule?«
Ich warf Iason einen kurzen Blick zu. »Wir hatten einiges zu klären.«
»Ja«, eilte er mir zu Hilfe. »Es gab da Missverständnisse, die wir ausräumen mussten.«
Lena taxierte uns eine Weile wie den Ball bei einem Pingpongspiel. Was sie daraus schloss, schien sie sehr zufriedenzustellen. Dann beugte sie sich zu mir herab und flüsterte mir ins Ohr: »Sex und Rebellion. Gute Devise, Mia.«
Mann, hatte sie denn immer noch nicht begriffen, dass Loduuner ein verflixt gutes Gehör hatten? »Warum seid ihr dennschon hier?«, fragte ich schnell. »Sind die letzten beiden Stunden ausgefallen?« Ich bedachte sie mit betontem Blick.
Lena nickte. »Henke hält heute einen Vortrag in der Matheakademie.«
Ohne aufgefordert worden zu sein, holte sie sich einen Stuhl vom Nachbartisch, setzte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme auf der Rückenlehne. »Stellt euch vor, Mirjam hat heute erzählt, dass ihr Vater einen neuen Tiertransport erwartet.«
»Was?«, entfuhr es mir lauter als beabsichtigt. »Wann?«
»Freitag in genau einem Monat.« Lena, die nun meine ganze Aufmerksamkeit genoss, legte zufrieden das Kinn auf die Arme. »Nachts am Labor.«
»Habt ihr schon …?« Ich hielt inne, da meine nächsten Worte nicht für gewisse andere Leute am Tisch bestimmt waren.
»Nein, aber wir sind gerade dabei, es zu tun«, erwiderte Lena.
»Seid ihr deshalb …« Ich schielte zu Iason, der sich taktvollerweise abgewandt hatte und aus dem Fenster sah.
»Jepp!«, antwortete sie.
»Wo ist Greta? Macht sie nicht mit?«
»Sie gibt ausgerechnet an diesem Tag einen Workshop zur Selbstbehauptung erniedrigter Frauen.«
»Und was ist sonst noch so passiert?«, wechselte ich vorsichtshalber das Thema.
»In Englisch haben wir ’ne Diskussion über die Entwicklungen auf Loduun geführt.«
Bei dem Wort Loduun drehte sich Iason wieder zu uns um.
»Ihr glaubt nicht, was für rassistische Sprüche die Gummihühner gemacht haben«, meinte sie. »Ich bin fast geplatzt vor Wut.«
Iason schien das zu wundern. Mich aber gar nicht. Es war
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