Sternenschimmer
samt iCommplete aus der Hand geglitten waren. Sollten sie doch am Boden liegen bleiben.
Als ich kurz darauf in den Flur kam, war ich überrascht, meine fertig angezogene Mutter zu sehen, die gerade dermaßen hektisch nach ihrem Lieblingsschal suchte, dass der Garderobenständer gefährlich ins Wanken geriet. Mit einem »Irgendwann schmeiß ich das Ding aus dem Fenster« gelang es ihr gerade noch, ihn aufzufangen.
»Guten Morgen, du Langschläfer. Weißt du, wie spät es schon ist?«, begrüßte sie mich.
Verdammt, die Schule! Ich warf einen Blick auf die Uhr. »In fünf Minuten kommt das Schiff!« Ich stürzte in mein Zimmer, schnappte Iasons Jacke und meine Tasche und eilte mit einem »Bis später« zur Tür hinaus.
Normalerweise empfand ich die Pflicht, pünktlich in derSchule zu erscheinen, nie so dringlich. Doch heute war das etwas anderes. Heute war alles anders. Ich musste unbedingt wissen, wie Iason sich nach gestern Abend verhielt. Hoffentlich würde er überhaupt kommen. Ich schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel und sah dort das Schulschiff. Ein Spurt ließ mich gerade noch rechtzeitig die Haltestelle erreichen. Schnaufend stieg ich ein und sank auf einen der Sitze in Fahrtrichtung.
Uff, ich hatte es noch geschafft. Ich wischte mir mit dem Armrücken über die Stirn, legte meine Tasche auf den Nachbarsitz und machte es mir bequem. Doch mit der Gemütlichkeit ist das so eine Sache. Wenn die Erzfeindin gerade mal eine Station weiter wohnt und blöderweise dasselbe Schiff nimmt, kann einem jedes Gefühl von Behaglichkeit ganz schnell vergehen. Und genauso war es heute. Verflixt, Mirjam und ihre Gummischar nahmen doch normalerweise immer zwei Schiffe früher, damit ihnen auch bloß genügend Zeit blieb, über den Schulhof zu flanieren. Schließlich sollte jedermann ihre brandheißen Fummel sehen. Hätte heute nicht mal irgendwas – zumindest das hier – normal laufen können? Ausgerechnet heute? Mirjam präsentierte mir indessen auf stolzierende Flamingo Art, dass an diesem Tag eben nichts wie sonst war. Verstohlen schob ich mein Haar vor das Gesicht, in der Hoffnung, sie würde mich nicht erkennen und einfach an mir vorbeistaksen. Aber Pustekuchen. Sie hatte mich gesehen und kam hämisch grinsend auf mich zu.
»Oh, seht mal. Mia geht heute als Laubfrosch!«
Sie lachte schrill auf und ließ sich vor mir auf die Bank plumpsen. Ihre Hühnersippe scharte sich sofort um uns herum. Vor mir, hinter mir, neben mir, es war zum Abgewöhnen. Von überall machten sie sich gackernd über mich her. Ich gab mir große Mühe wegzuhören, während Mirjam die Standardlästereien abspulte. Zu blöd für sie, dass ich gerade keinen Pickel hatte.
»Quak«, machte Mirjam. Prusten und Lachen folgten aus allen Richtungen.
Blöde Kuh. Ich äugte heimlich von meinem Outfit zu ihrem und musste mir zu allem Übel auch noch eingestehen, dass sie heute tatsächlich ziemlich coole Klamotten anhatte. Nicht dass ich diese tintenfischähnlichen Stöckelschuhe jemals anziehen würde, aber ihre schwarze Hose und die indigoblaue Bluse formten ihre Figur sehr vorteilhaft, machten sie extrem weiblich. Und bei einem Vorhaben wie meinem heute wäre genau das sicherlich eine schlaue Taktik gewesen. Stattdessen ging ich als Laubfrosch! Am liebsten hätte ich laut aufgestöhnt. Warum sah Mirjam heute nur so aus und ich so?
Oh, Mann. Ich musste dringend lernen, erst zu denken und dann zu handeln. Doch das half mir jetzt auch nicht weiter.
Reiß dich gefälligst am Riemen!, sagte ich mir. Entweder er mag dich, wie du bist, oder er lässt es bleiben. Den Kopf ans Fenster gelehnt, blickte ich hinaus. Und wenn er es bleiben ließ? Wenn er heute genauso abweisend reagieren würde wie nach unserem Erlebnis am Strand? Es war wirklich an der Zeit zu begreifen, dass Zucker von Iason immer Gift nach sich zog. Auf einmal hatte ich es gar nicht mehr so eilig, in die Schule zu kommen.
»Quak«, machte Mirjam und stieß glucksend ihre Freundinnen an. Wie auf Kommando gackerten die los. Doch es war mir egal. Sie waren mir egal.
Das Schiff senkte sich über der nächsten Haltestelle.
Mirjam schien nicht zu bemerken, wie überflüssig all ihre Anstrengungen waren. Sie blies die Backen auf und quakte wieder. Ihre Groupies gackerten – doch als das Schiff wieder aufstieg, verstummten sie abrupt.
»Ist neben dir noch frei?«
Ich wandte den Kopf, und wenn ich nicht schon vorher in Schweigen verfallen wäre, spätestens jetzt hätte es mir die Sprache
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