Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
sie ihn. »Denkst du immer noch, dass ich dein Zwillingsstern bin?«
»Du warst es einst. Daran hege ich keinen Zweifel.«
»Und was willst du nun tun? Ich habe eine deiner kostbaren Sternenseelen getötet.«
Er presste die Lippen aufeinander. Als könnte er das vergessen. Lea. Sie hatte es nicht verdient, so zu sterben. »Das kommt ganz auf dich an.«
»Glaubst du, du kannst mich töten?«, fragte sie.
»Ich weiß es.« Überrascht stellte er fest, dass dem tatsächlich so war. All die unterdrückte Wut und Frustration füllte ihn mit Energie, die danach verlangte, freigesetzt zu werden. Alle seine Nerven lagen blank, bereit, in dem Ton zu schwingen, deren Saite man anschlug.
»Ich …« Sie zögerte. »Ich habe von dir geträumt. Wir gingen durch einen Wald, und da waren ein Schaf und noch ein Junge.«
»Tykke.«
Ihre Augen weiteten sich. »Ich erinnere mich.«
Raphael sah sie erschüttert an. Er war sich zwar sicher gewesen, dass sie es wirklich war, aber diese Bestätigung aus ihrem Mund zu hören, zog ihm dennoch den Boden unter den Füßen weg.
»Waren wir lange zusammen?«
»Wir hatten keine Gelegenheit. Du starbst, direkt nachdem du zur Sternenseele wurdest. Zumindest dachte ich das, aber damit lag ich wohl falsch.« Verbittert starrte er sie an.
Sie schüttelte den Kopf. »Das war das Erste aus meiner Vergangenheit, das zurückkehrte. Alle meine Erinnerungen verblassen nach ein paar Jahren, um dann zu verschwinden.« Sie holte ein zerfleddertes Buch aus ihrer Manteltasche. »Ich mache es wie die Menschen und führe Tagebuch, doch wenn ich es Jahre später lese, ist es, als würde ich dem Bericht eines Fremden lauschen.« Sie schlug es auf, nahm ein Lederband heraus, das ihr als Lesezeichen diente und an dem ein Holzstern baumelte, und hielt ihn ihm hin. »Das Einzige, was aus meiner Vergangenheit geblieben ist.«
Raphael schnappte nach Luft. Das war der Anhänger, den er ihr geschenkt hatte. Er streckte die Hand aus, um ihn entgegenzunehmen, doch dabei berührten sich ihre Fingerspitzen, und schlagartig spürte er sie wieder als seinen Zwillingsstern. Es war nur ein Augenblick, aber der war so überwältigend, dass er aufstöhnte. Alles war zurück. Das Band zwischen ihnen, die Zuneigung, das Vertrauen, das Wissen, dass sie füreinander bestimmt waren.
Sie keuchte auf und sank in die Knie. Sobald sich ihre Finger lösten, verblassten die Gefühle, verschwanden aber wie ein Rauschen im Hintergrund nie vollständig.
»Ich erinnere mich«, ächzte Amadea. »Ein Dorf. Vater war grob, unglücklich, eine Tochter zu haben statt einen Sohn. Ganz allein ohne Mutter. Das Schaf. Du. Ein Fremder. Träume, mit dir davonzugehen, an einen Ort, an dem ich nicht mehr frieren würde. Nie wieder Kälte. Dann Schmerzen und ein Licht. Gesang voller Liebe. Dein Schrei und schließlich erneut Schmerzen, gefolgt von einer Kälte, die sich in meine Knochen fraß, mich nie wieder verließ.«
Halb benommen hörte er ihr zu. Beobachtete dabei ihre Augen, die immer wieder ihre Farbe wechselten. Mal füllte Schwärze sie vollständig aus, dann wieder waren sie von klarem Grün. Ab und an zeichneten sich sogar die silbrigen Umrisse eines Sterns in ihnen ab, als kämpften zwei Seelen um die Vorherrschaft über sie. Er half ihr auf die Beine. »Kämpf dagegen an. Du bist eine Sternenseele.« Er spürte es wieder. Die Verbindung zwischen ihnen flackerte wie ein Feuer in einer stürmischen Nacht. Mal war es kaum zu spüren, dann überrollte es ihn nahezu in seiner ganzen Intensität.
»Was habe ich getan?«, flüsterte sie. »So viele Tote.« Ihre Augen verdunkelten sich. »Ich muss der Herrin gehorchen.«
Er packte sie an den Schultern. »Kämpf dagegen an! Du bist nicht ihre Dienerin.«
Flehentlich sah sie ihn an. »Wirst du mir helfen?«
»Ich werde immer für dich da sein. Solange du mich brauchst.«
»Versprochen?«
Er nickte. Auch wenn er Lilly dadurch endgültig verlieren würde und sich nicht sicher war, ob er Amadea ihre Taten vollständig verzeihen konnte, fühlte er sich für sie verantwortlich. Er hätte sie beschützen müssen. Stattdessen hatte er sie in den Fängen einer Sternenbestie gelassen. Trotzdem verkrampfte er sich innerlich, als er daran dachte, Lilly aufzugeben. Das Band zwischen ihm und Amadea mochte zwar existieren, aber im Vergleich zu dem, was er für Lilly empfand, war es nichts. Er wusste nicht, ob es am Einfluss der Sternenbestie lag, an ihm, an ihr, oder ob ihn einfach seine Erinnerungen
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