Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
Freund, der sie bedingungslos verehrte, eine Familie, die sie liebte, ein Leben voller Möglichkeiten, dennoch war sie unzufrieden gewesen. Sie sank auf die Matratze, rollte sich wie ein Baby zusammen, versuchte, sich den Geruch seiner Haut, das Gefühl seiner weichen Lippen auf den ihren, den Geschmack seiner Haut in Erinnerung zu rufen, wollte es festhalten und für immer darin verweilen.
Lea starb. Daran bestand in der Zwischenzeit kein Zweifel. Anni hatte ihr Bestes gegeben, aber der Blutverlust hatte ihre Selbstheilungskräfte so sehr geschwächt, dass sie nichts mehr bewirkten. Vielleicht hätte man ihr noch in einem Krankenhaus helfen können, aber wie sollte man den Ärzten erklären, woher die Verletzung kam und warum sie dann plötzlich schlagartig wieder heilte? Und das alles ohne gültige Krankenversicherung oder irgendwelche amtlichen Papiere. Nein, wenn eine Sternenseele verletzt wurde, musste man auf einfache Mittel zurückgreifen – und manchmal versagten sie.
Ein lautes Wehklagen drang aus dem Untergeschoss, und sie wussten, dass Lea gestorben war. Sie hatten sich alle zurückgezogen, um den beiden Liebenden diese letzten gemeinsamen Minuten zu gönnen, doch nun strömten sie alle zurück in das Wohnzimmer, wo man Lea auf der breiten Ledercouch gebettet hatte. Ihre Augen waren geschlossen, und wären nicht die wächserne Blässe gewesen und die unnatürliche Reglosigkeit, hätte man glauben können, dass sie nur schlief. Selbst in dieser Situation wirkte Andromeda seltsam unbeteiligt, wie sie da im Türrahmen stand und das Szenario beobachtete. Auch sie hatte Lea nicht helfen können. Zu geschwächt war sie noch immer, und keiner wusste, wann sie wieder zu Kräften kommen würde.
Lilly sah zu Torge hinüber. Man hörte oft davon, dass ein Mensch an Trauer zerbrechen konnte, trotzdem hatte man nie eine genaue Vorstellung davon, was das bedeutete. Als Lilly Torge nun ansah, wusste sie genau, was diese Redewendung bedeutete. Über Nacht schien er geschrumpft zu sein. Aus dem einst so großen und bärenhaften Jungen war ein in sich zusammengefallenes, trauergeplagtes Wesen geworden, von dem man nicht glaubte, dass es jemals wieder lachen würde.
»Warum hat sie das nur getan?« Tränen rannen über seine Wangen.
Lilly ging zu ihm und legte einen Arm um seine Taille. Um seine Schultern zu erreichen, war er viel zu groß. »Sie hat sich geopfert, um Andromeda zu schützen, dich zu schützen. Sie hat dich mehr geliebt, als Worte erfassen können.«
Erst viel später, es war schon kurz vor der Morgendämmerung, kehrte sie nach Hause zurück und berichtete dem entsetzten Samuel von den Vorfällen. Immerhin war er nicht von dieser Schattenpest infiziert worden, von diesen winzigen Splittern einer übermächtigen Sternenbestie, die in unschuldige Menschen drangen und sie so für kurze Zeit unter ihre Kontrolle brachten. Mehr hatte sie in dieser Nacht nicht mehr erfahren. Selbst Ras und Fynn waren zu erschöpft und niedergeschlagen, um irgendwelche Pläne zu schmieden. Doch trotz ihrer Müdigkeit und Trauer beschloss sie, einen eigenmächtigen Schritt zu unternehmen. »Rede mit Calista und bitte sie um Hilfe, auch wenn es bedeutet, dass sie sich mit uns trifft.«
»Ich dachte, du misstraust ihr.«
»Ich habe sie letzte Nacht nicht gesehen, zudem müssen wir herausfinden, in welchem Körper Lucretia steckt. Wäre sie diese Nacht mit dabei gewesen …« Sie schauderte, wollte sich die Konsequenzen nicht ausmalen. »Wir brauchen jedes Augenpaar, und solange wir sie von unserem neuen Versteck fernhalten, sollten wir nichts zu befürchten haben.«
Schließlich verkroch sie sich in ihrem Zimmer, halb betäubt von seelischen Schmerzen, ließ die Rollläden herunter, sodass das beständige Schimmern von draußen nicht eindringen konnte, zündete alle Vanilleduftkerzen an, die sie hatte, und legte furchtbar traurige und zugleich romantische Musik ein. Ihr Herz war gebrochen, und der Riss schien sich durch ihren ganzen Körper bis in ihre Seele zu ziehen. Niemals würde sie wieder jemanden so lieben wie Raphael. Dessen war sie sich mit einem Mal bewusst. Ja, da waren Mikael und das Band zwischen ihnen, aber nicht sein Lächeln tauchte vor ihren Augen auf, wenn sie sich in einem Weinkrampf krümmte. Nicht seine Berührungen und Küsse vermisste sie mit einer Intensität, die sie zu zerreißen schien. Nein, es war Raphael. Warum hatte sie das erst jetzt erkannt?
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† W ieso lebt sie noch?«, fragte die Herrin,
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