Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
keinen Fall. Du bist der erfahrenste Krieger. Du musst Andromeda beschützen.«
»Dann lasst mich bei euch bleiben«, sagte Lilly. Sosehr sie den Kampf fürchtete, so wenig wollte sie auch die Flucht ergreifen.
»Das ist lieb von dir, aber du bist zu unerfahren. In dem Versuch, dich zu beschützen, würden wir anderen nur gefährdet werden. Und wenn dir etwas zustößt, was glaubst du, wie gut Mikael sich dann noch konzentrieren kann?«
Widerstrebend fügte sich Lilly. Die Diskussion war ihr lang erschienen, aber in Wirklichkeit waren nur wenige Augenblicke verstrichen.
Sie postierten sich an der Falltür. Lea und Anni voraus, gefolgt von Mikael, Andromeda und als Letzte Lilly.
Kaum war die Tür offen, flutete Mondlicht hinein und mit ihm das laute Geschrei von mindestens einem Dutzend Menschen, vermutlich aber viel mehr. Sie stürmten los, und Lilly sah aus den Augenwinkeln Schüler und Lehrer, selbst Herrn Kreul, ihren Englischlehrer, mit schwarz gefüllten Augen, die sich mit unnatürlicher Geschwindigkeit zwischen den kämpfenden Sternenseelen bewegten und diese attackierten. Sie rannte weiter, beobachtete voller Angst, wie Andromeda taumelte und geblendet vom Sternenlicht die Augen zusammenkniff. Stützend packte sie sie unterm Arm, und als Mikael das sah, ließ er sich ebenfalls zurückfallen und ergriff sie an der anderen Seite.
»Sind das alles Sternenbestien?«, rief sie voll Entsetzen über den Kampfeslärm hinweg.
»Nein«, brüllte er zurück. »Das nennt sich Schattenpest. Die mächtigsten Sternenbestien können Menschen für kurze Zeit in willenlose, magisch verstärkte Marionetten verwandeln.«
Erschüttert beobachtete Lilly, wie Lukel einem Unterstufenschüler seine Faust ins Gesicht schmetterte, sodass seine Nase zersplitterte. Das waren unschuldige Menschen! Sie beschleunigte ihre Schritte, wollte nur noch weg. Zugleich versuchte sie, sich zu vergewissern, dass noch alle Sternenseelen am Leben waren. Erleichtert stellte sie fest, dass zumindest keine Toten auf dem Boden lagen, doch in dem Chaos war es ihr nicht möglich, sich einen Überblick zu verschaffen, und Raphael fehlte. Sie sandte ein Stoßgebet zu ihrem Stern, dass es ihm gut ginge.
Lea befand sich in der Zwischenzeit mitten im Kampfgetümmel und tauschte erbarmungslose Hiebe mit einer der Sportlehrerinnen aus. Sie waren ebenbürtige Gegnerinnen, sodass Lea nicht bemerkte, wie hinter ihr Amadea aus den Schatten trat. Lilly schrie ihr eine Warnung zu, aber sie hörte nichts. Sie wollte sich umwenden, um ihrer Freundin zu Hilfe zu eilen, aber Mikael herrschte sie an: »Lauf weiter. Du kannst ihr nicht helfen. Wenn wir Andromeda nicht in Sicherheit bringen, sind wir alle verloren.«
Hilflos sah Lilly mit an, wie Raphaels Zwillingsstern eine tückische Klinge hob und sie von hinten in den Rücken ihrer Freundin stieß. Selbst wenn sie gekonnt hätte, wäre sie niemals schnell genug gewesen, um das zu verhindern. Auf Leas Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Überraschung und Schmerz ab, bevor sie wie in Zeitlupe zusammenbrach.
Da erklang ein urtümlicher Schrei, und Torge stürzte sich blind vor Wut auf Amadea, vertrieb sie und die besessene Sportlehrerin von dem leblosen Körper seiner Liebsten.
Lilly nahm noch wahr, wie er Leas Leib in seine Arme zog, dann verdeckten Äste und Büsche die Sicht.
»Lauf weiter«, brüllte Mikael. »Ich sichere von hinten.«
»Aber wohin?«, fragte sie. Wenn sie ihnen zu der Ruine gefolgt waren, kannten sie sicherlich auch ihren anderen Zufluchtsort, und das Internat war ohnehin tabu. Sie konnten diese Schlacht nicht zwischen die wehrlosen Schüler und vor die Augen der Öffentlichkeit zerren.
»Weißt du keinen Ort?«
Während sie weiterrannten, überlegte Lilly fieberhaft, bis ihr endlich die rettende Idee kam. Das Haus, das Raphael für sie gemietet hatte! Sie waren so selten da gewesen, dass Lucretia wahrscheinlich nichts davon wusste.
53
† K aum erreichten sie das Häuschen, forderte Mikael sie auf, sich in dem Wipfel einer immergrünen Tanne zu verbergen, während er das Gebiet auskundschaftete. Ängstlich presste sie sich an den harzigen Stamm des Baumes, lauschte dabei dem angestrengten Atem Andromedas. Die schmalen Arme bebten vor Erschöpfung, ihre silbernen Augen waren glanzlos. Selbst so ein mächtiges Wesen wurde also vom langen Liegen geschwächt. Wie lange sie wohl geschlafen haben mochte?
Lautlos wie ein Schatten kehrte ihr Zwillingsstern zurück. Sie spürte seine
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