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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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dunkler Farben: Gesichter, Strukturen, Bäume, Wege. Er erwachte zitternd ein halbes Dutzend Male. Jedesmal beobachtete ihn Kadura von ihrem Bett aus; ihr Gesicht war grau. Er versuchte nicht zu sprechen.
    Als er das letzte Mal erwachte, war Kadura gegangen. Khira beugte sich besorgt über ihn. »Dunkeljunge, du hast geschrien.«
    »Ein Traum«, murmelte er heiser und versank wieder in düstere Träume.
    Spät am nächsten Nachmittag standen sie auf einem Vorgebirge und schauten über den Vereinigungsplatz hinweg. Unter ihnen drängte sich, so weit das Auge reichte, eine geballte Menge; Tausende. Nachdem sie ihren Bestimmungsort erreicht hatten, hatten die Tiere ihre mutlose Müdigkeit abgeworfen. Von unten erschollen Rufe und Schreie, durchdringend und erregt. Obwohl die zusammengedrängten Tiere wie ein solides graues Feld aussahen, bewegten sich einzelne Tiere beständig und wieherten einander zu, heben sich gegenseitig die Nacken, kauten an den Mähnen zur Begrüßung und Werbung.
    Dunkeljunge schaute auf sie hinab wie auf einen Alptraum. Er konnte sich an kein einziges konkretes Bild mehr aus seinen nächtlichen Träumen erinnern; wie stets. Aber er erinnerte sich an die Farben seiner Träume, und er erinnerte sich an Entsetzen. Und insoweit waren die Rotmähnen daran schuld, daß seine Träume wiederkehrten.
    »Sie haben bereits mit dem Paaren begonnen«, sagte Khira, und er schaute widerstrebend hin. Rotmähnenpaare hatten sich auf die Hinterbeine erhoben, schlugen die Luft mit den Hufen, warfen die wirren Mähnen. Fohlen liefen lärmend und aufgeregt zwischen den werbenden Paaren umher und rührten den roten Staub des Geländes zu dunklen Wolken auf.
    Dunkeljunge schaute unbehaglich umher. In Umhängen mit hochgeschlagenen Kapuzen standen die Wächterinnen in einer Linie auf den Vorbergen, die die Ebene beherrschten. Er war sich nie zuvor ihrer Stille so bewußt gewesen. Heute nacht war es eine lauernde, eine wartende Stille. Er kaute an der Unterlippe. Zwischen den Wächterinnen befanden sich vielleicht sechzig Barohnas, und auch diese warteten und waren ebenso still.
    Dunkeljunge und Khira saßen bis Sonnenuntergang oben auf einem Felsblock. Mit dem Staub erhob sich ein ätzender Geruch von der Ebene; ein Geruch, der die Tiere in heftige Erregung versetzte. Der Junge sog die kalte Abendluft ein, seine Hände waren zu Fäusten geballt. Mehrmals schaute Khira besorgt zu ihm hin, aber sie sagte nichts.
    Endlich, bei Einbruch der Dunkelheit, wurde die Ebene still. Werbende Hengste und Stuten ließen sich wieder auf alle viere nieder und standen bewegungslos da. Sogar die Fohlen stellten ihr Herumrennen und Wiehern ein. Dunkeljunge bewegte sich unruhig, als Tausende von Tieren wie Stein wurden. Nach einer Weile war die Ruhe vollständig; und furchtbar, wenn er bedachte, daß es so viele Tiere waren. Dunkeljunge wandte sich Khira zu. Sie war starr geworden, schien kaum noch zu atmen.
    Dann erschien über dem Kamm des Horizontes Nindra; ihr silbernes Antlitz stand still und machtvoll am dunklen Himmel. Sie war noch nie so leuchtend, so groß gewesen. Sie warf schimmerndes Licht über die Rotmähnen; einen  Segen aus silbernem Licht. Die Tiere hoben die Köpfe, wieherten plötzlich und warfen wieder die Köpfe, sprangen und liefen im kurzen Galopp in der Ebene umher; die Nacken gebogen, mit klappernden Hufen.
    Während Dunkeljunge mit wachsendem Befremden zusah, spielten sie neckische Spiele, griffen einander an, stürzten wieder fort. Einige tänzelten auf den Hinterbeinen, droschen die Luft mit den Mähnen.
    Und der Silberglanz des Mondes über ihnen ...
    »Die Weißmähnen!« flüsterte er. »Du kannst die Weißmähnen in ihnen erkennen.« Vorher waren sie plump und grau gewesen, ohne Intelligenz. Jetzt war Schönheit in ihnen; Anmut, Schnelligkeit, Freude. Während sie zusahen, wurden die schwerfälligen Leiber, die wirren Mähnen, die schweren Hufe rasch abgelegt. Im verzaubernden Licht Nindras warben und tänzelten Weißmähnen.
    »Khira – sie sind wie Weißmähnen!«
    Khira schien ihn nicht zu hören. Und Kadura stand da wie Stein, die Augen hart, schwarz, ohne Glanz. Ihr Gesicht war zu einer erstarrten Masse geworden; mit tiefen Rissen darin; die rauhen Konturen nur oberflächlich geglättet.
    Dunkeljunge wandte sich wieder dem Tanz der Rotmähnen zu. Dann erschien oben am Horizont Zans silberner Kranz, und die Rotmähnen waren plötzlich wieder ruhig. Sie standen dort in erstarrter Stille, bis der

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