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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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obwohl er sie aufgefordert hatte, sich ihm anzuschließen und die Weißmähne zu verfolgen.
    Besorgt folgte sie ihm zwischen die Bäume. Während sie gingen, mied sie behutsam den ungeklärten Wust ihrer übrigen Sorgen und wunderte sich über die Veränderungen, die sie heute an Dunkeljunge wahrnahm. Er war deutlich Dunkeljunge, zurückgekehrt aus welchem Gefängnis auch immer, das er seit der Vereinigung bewohnt hatte. Die leichte Art, wie er zwischen den Bäumen hindurchglitt, sagte es ihr. Aber es war noch ein Rest vom Lenkenden in ihm; eine gelegentliche, vorübergehende Ungeschicklichkeit; eine flüchtige Unsicherheit. Und auch etwas völlig Neues war in ihm; etwas, das sie nicht ausloten konnte. Sie konnte nur seine Auswirkung sehen; sie erkannte es in der Gleichgültigkeit seines Blickes, im trotzigen Zusammenpressen seiner Lippen. Er enthielt ihr ein Geheimnis vor, und das schuf eine Distanz zwischen ihnen.
    Die Spur der Weißmähne war in den tiefen Blättern deutlich zu erkennen. Sie führte sie weit in den Wald hinein,  durch das Gebiet, in das der Benderzic sein Feuer geschleudert hatte, und weiter. Es gab im Wald Plätze, an denen die Bäume dicht standen, hoch und spitz emporragten, die Stämme dunkel bemoost, die spärlichen Blätter zerbrachen das Sonnenlicht in flirrende Splitter. Es gab andere Stellen, da senkte sich der Boden allmählich, und dort gab es überhaupt keine Bäume, nur wuchernde Kletterpflanzen.
    Es gab noch andere Orte, wo Quellen aus den Felsen ans Tageslicht sprudelten und hohes Gras wuchs. Nahe den Quellen schien Khira eine besondere Stille zu herrschen; als wäre dort nur die Stimme des Wassers zu hören und manchmal der antwortende Ruf des Windes in den Bäumen.
    Neben einer dieser Quellen ließen sie sich nieder, um aus kräftigen Ästen, die sie von Hartholzbäumen geschnitten hatten, Spieße herzustellen. Bei einer anderen Quelle setzten sie sich nebeneinander, um das Mittagessen aus ihren Packen zu essen. Und spät am Nachmittag gingen sie ebenfalls nebeneinander, als die Sonne horizontal durch die Bäume schien und einen Ring um sie warf – da fanden sie die Weißmähne.
    Sie stand an einer Quelle, den Kopf erhoben, ein Bein angewinkelt; der Huf ruhte auf einem moosbewachsenen Felsblock. In der Nähe lag im Gras eine Stute, die sich schützend um ihr Fohlen gelegt hatte.
    Dunkeljunges Finger schlossen sich um Khiras Arm. Die Weißmähne betrachtete sie ruhig aus Augen, die rosafarbene Durchsichtigkeit, Pupillen, die scharlachrote Nadelspitzen waren. Die untergehende Sonne warf ihr rosiges Licht über die drei Tiere und ließ ihr glattes Fell aufleuchten.
    Die direkte Offenheit des Tierblicks war verwirrend. So wie Dunkeljunges völlige Ruhe, sein angespanntes Bewußtsein. Khira ergriff seine Hand. »Dunkeljunge?« Irgendwie war er ihr entglitten. Er begegnete dem Blick der Tiere, und ihr kam es so vor, als fände ein Unterricht für ihn statt, an dem sie niemals teilnehmen könnte; als verlöre er sich darin.
    »Dunkeljunge!«
    Er schüttelte den Kopf; verneinte ihren Anspruch. Wortlos befreite er seine Hand aus ihrem Griff und trat vor. Die Weißmähnen waren bei seiner Annäherung nicht angespannt oder scheu. Sie sahen ihn unverwandt an, in den Augen den rosigen Glanz der untergehenden Sonne. Dunkeljunge näherte sich ihnen stumm, kniete nieder und legte die Hand auf die Stirn des Fohlens, berührte sanft das seidige Haar. Er kniete dort minutenlang, und nur die Stimme des Wassers durchbrach die Stille. Dann stand er auf und trat zurück.
    Als er schließlich erneut Khiras Hand nahm, spürte er die Wärme des Fohlens noch an seinen Fingern. Seine Stimme war heiser. »Es hat jetzt mein Zeichen.«
    Khira schaute zu den Weißmähnen zurück, sie begriff nicht. Dann hielt sie überrascht die Luft an – unbegreiflich; das Zeichen von Dunkeljunges Fingern lag wie ein Schatten auf der Stirn des Fohlens. Während sie noch schaute, wurde der Schatten dunkler, bis das Fohlen eine wie Flammen geformte schwarze Markierung trug, wo Dunkeljunge es berührt hatte.
    »Wie ... wie hast du ...«
    Dunkeljunge schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, weshalb ich ihm mein Zeichen aufgeprägt habe. Ich weiß nicht, wie. Aber ich denke ... ich denke, es wird auf mich warten. Selbst wenn ich nicht zurückkomme.« Seine Augen wurden schmal, und er sah an den Weißmähnen vorbei in den Wald. »Dort sind andere ... andere Weißmähnen. Ich möchte die Benderzic nicht

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