Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
herbringen.«
Khira folgte seinem Blick in die Bäume und versuchte zu erkennen, was er sah. Wenn noch mehr Weißmähnen in der Nähe waren, hatten sie sich gut versteckt. Vielleicht hatten sie sich über ein großes Waldgebiet verstreut, in kleinen Gruppen gesammelt, um Dutzende von kleinen Quellen gelagert.
Wenn ich statt dessen das Fohlen berührt hätte ...
Sie verbat sich den Gedanken. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Hand auf seine Stirn zu legen. Die Weißmähne hatte nicht ihretwegen am Saum der Lichtung gestanden. Sie hatte nie den Zwang verspürt, der Weißmähne zu folgen; wie ihn Dunkeljunge gespürt hatte. Gewiß hatte sie keine Weißmähnen bei der Vereinigung gesehen. Ihre Anwesenheit hier war zufällig.
Das begriff sie, aber sonst nichts. Sie wandte sich an Dunkeljunge und stellte fest, daß er sich in seine innere Zuflucht zurückgezogen hatte, wohin sie ihm nicht folgen konnte.
Wohin? Warum?
Als sie durch die Bäume zurückgingen, dachte sie mehr über die Entfernung nach, die Dunkeljunge zwischen sie gebracht hatte, als über die Weißmähnen, die Benderzic oder den Mangel in ihr selbst.
Sie kehrten auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren, und wanderten, bis der Mond aufging. Dann schlugen sie ihr Bett im Laub auf, jeder für sich gegen die Kälte der Nacht eingehüllt. Khira lag noch lange wach und wünschte sich des Jungen Wärme an ihrem Körper. Doch als sie sich zu ihm drehte, starrte er leer aus mondversilberten Augen zu ihr herüber. Es lag keine Einladung in ihnen.
War er durch die Veränderung in ihr abgestoßen? Benahm er sich deshalb wie ein Fremder? Oder war es die Veränderung in ihm, die die Distanz schuf? Khira fiel nur schwer in Schlaf, einsam.
Früh am nächsten Morgen kamen sie aus dem Wald heraus. Sie sprachen wenig. Die Leere der Ebene war vollkommen. Keine Brise bewegte die wenigen Bäume. Keine Rotmähne bot ihnen Gesellschaft. Sogar die schwärmenden Insekten hatten ihre Schlupfwinkel aufgesucht. Khira ging mit gesenktem Kopf und versuchte, etwas Neues in der Berührung des Sonnenlichts auf ihren Schultern zu spüren. Wenn sie nur die Unversehrtheit ihres Herzens wiedererlangen, wenn sie nur Gewißheit finden könnte ...
Aber wie konnte sie die Unversehrtheit wiedererlangen, die sie an Tiahnas Thron gespürt hatte? Wie konnte sie Gewißheit finden, wenn Dunkeljunge den ganzen Morgen über kaum mit ihr gesprochen hatte, wenn er an ihr vorbei ins Nichts schaute und weiterschritt zu diesem Nichts, wie zu den fernen Bergen – gleichmäßig, schweigend, mit grüblerischen Falten auf der Stirn?
Spät am Abend erreichten sie die Zinnen und schlugen dort in schweigender Übereinkunft ihr Nachtlager auf. Dunkeljunge schlief rasch ein, zusammengerollt im schützenden Schatten der Felsspitzen. Khira lag neben ihm; sie fühlte sich merkwürdig schwebend, als wäre die Welt um sie herum unwirklich geworden, und nur das Mondlicht noch wirklich.
Sie konnte nicht einschlafen; schließlich schleuderte sie ihren Umhang fort und stand auf. Sie war dem Teich früher ausgewichen, aus Angst davor, ihr Spiegelbild zu erblicken. Nun wurde sie dort hingezogen. Sie kniete mit geschlossenen Augen neben dem stillen Wasser und ließ den Atem ausströmen; ließ ihren Willen mit ihm verströmen.
Sie öffnete langsam die Augen und erblickte sich in dem vom Mondlicht versilberten Teich. Eine Hand war erhoben, berührte das Gesicht. Sie war jetzt dunkel, wo sie hell gewesen war; ihr Haar hing kupferrot über ihre Schultern. Aus den unausgeprägten Gesichtszügen der Kindheit war ein neues Gesicht zum Vorschein gekommen; die Augen tieferliegend und verschattet; die Nase länger und ausgeprägter; der Mund groß und ernst. In ihrem Kinn war eine neue Kraft; die Backenknochen waren ausgeprägter. Sogar die Augenbrauen waren dunkler und kühner geworden.
Es war das Gesicht einer Fremden; aber noch nicht das Gesicht einer Barohna.
Nein. Das waren nur die ersten Veränderungen. Sie sah jetzt aus, wie Denabar ausgesehen haben mußte, als sie sie vom Berg getragen hatten. Aber Denabar hatte nur noch für Sekunden gelebt, nachdem sie ihr Opfer genommen hatte. Für Khira waren es schon zwei Tage gewesen. Ihr Kopf senkte sich, und die Wirklichkeit flutete zurück und lastete auf ihr wie ein Stein.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, saß Dunkeljunge da und beobachtete sie. Bevor sie die Augen öffnete, spürte sie für Augenblicke seinen prüfenden Blick, aber sie war nicht auf die
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