Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
ohne sich seiner Abwesenheit bewußt zu werden.
Dann trieb ihr Kälte ins Herz. Er war fort und hatte nicht einmal einen Abdruck auf der harten Erde hinterlassen oder eine Spur von Wärme in den Decken. Sie schaute ratlos umher. Sie wollte seinen Namen rufen; aber die unbestimmte Angst, daß das Geräusch ihrer Stimme ihn den Benderzic verraten könnte, hielt sie zurück. Sein unausgesprochener Name war wie ein Kloß in ihrer Kehle.
Sie durchsuchte die Felsen am Fuß der Gipfel, erkundete schattige Orte nach Hinweisen seiner Gegenwart. Schließlich blickte sie auf und sah ihn weit oben; er hob sich gegen die Sterne ab. Er klammerte sich waghalsig an die größte Spitze: an Upquir, den Meister-Züchter. Die schroffe Spitze ragte hoch hinauf gegen die Sterne, und Khira spürte die Feindseligkeit des versteinerten Züchters, vor so vielen Jahrhunderten in seinem Trachten nach der ältesten Rotmähne gefangen und zu Stein geworden. Heute nacht sah sie seine Augen im dunklen Felsantlitz glitzern; rachsüchtige Augen. Upquir brauchte nur zu zucken, brauchte nur seine steilen steinigen Schultern vorzubeugen, und Dunkeljunge würde sich zu Tode stürzen.
Dunkeljunge.
Aber sie konnte seinen Namen nicht rufen mit diesem Kloß in der Kehle. Und sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Es war zu weit, beschattet.
Aber jetzt sah sie das fremde Licht, nach dem sie früher am Himmel Ausschau gehalten hatte, hinter den Felsnadeln. Es blinkte rot auf und bewegte sich zwischen den vertrauten Sternbildern wie das blinzelnde Auge des Todes. Es bewegte sich gleichmäßig, unerbittlich näher, bis der Schiffskörper allmählich die umliegenden Sterne auslöschte. Während sie zusah, schuf das Schiff der Benderzic eine sich ständig ausweitende Dunkelheit am Himmel; eine sonderbare, leere Finsternis; einen wachsenden Schatten.
Die Falle schnappte zu; die Bügel schlossen sich langsam; Khira stand wie gelähmt. Sie konnte nicht aufschreien, sie konnte nicht laufen. Sie konnte nur dabei zusehen, wie das Benderzic-Schiff die vertrauten Sterne fraß. Schließlich wurde es zu einer deutlich erkennbaren Form über der Ebene, eine mattschimmernde Metallform, die so still über dem Boden hing, daß es Khira schwer fiel zu glauben, daß sie es dort tatsächlich in seiner ganzen gewaltigen Masse sah. Es bewegte sich sehr langsam, bis sein Schatten den Boden zu ihren Füßen verdunkelte. Nindra und Zan warfen ihr silbernes Licht vergeblich hinunter; es schuf nicht mehr als einen bleichen Ring um den Umriß des dunklen Metallkörpers.
Dann schwebte das Schiff lautlos hernieder und ließ sich auf den Boden hinter dem Teich sinken. Als das Mondlicht zurückkehrte, fühlte Khira sich plötzlich schutzlos. Sie beobachtete, in einer geisterhaften Lähmung gefangen, wie vielfarbene Lichter in versenkten Schächten aufflackerten, das Gebiet um das Schiff herum leuchten und das Licht der Monde verblassen ließen.
Sie wartete darauf, daß sich die Metalluke mit schrillem Kreischen, mit metallenem Protest öffnen würde. Statt dessen glitt sie lautlos beiseite und gab eine rechteckige dunkle Höhlung in der Flanke des Schiffes frei. Eine Metallrampe erschien und schob sich glatt zu Boden.
Dunkeljunge.
Wieder versuchte sie seinen Namen zu rufen und konnte es nicht. Der Kloß in ihrer Kehle ließ ihr kaum Raum zum Atmen.
Drei Benderzic in schwarzen Uniformen erschienen auf der Metallrampe, glänzendes Metall am Handgelenk, am Hals, um die Taille. Sie ähnelten stark den Benderzic in der Waldlichtung, mit kurzen Gliedern, gedrungen, mit dickem dunklen Haar, nassen Lippen und rollenden Augen. Aber sie lachten nicht. Sie spotteten nicht. Sie waren voll angespannter Wachsamkeit.
Khira trat unwillkürlich zurück, als die vielfarbigen Lichterfinger umhersuchten und die Benderzic mitsamt ihrem Schiff in der relativen Dunkelheit des Mondlichts versanken. Khiras Augen brauchten eine Weile, um sich anzupassen. Dann sah sie, daß die Benderzic noch immer reglos auf der Rampe standen; sie blickten zu den Zinnen empor.
Empor ...
Dunkeljunge!
Er hing an Upquirs steiler Spitze; sein Gesicht schimmerte weiß im Mondlicht. Khira starrte auf ihn und konnte den bebenden Atem in seiner Kehle fast spüren, den beschleunigten Schlag seines Herzens, die Anspannung in seinen Muskeln. Er war so weit von ihr fort; nicht nur im Sinne der räumlichen Entfernung, die sie trennte, sondern auch, weil er sich geistig von ihr losgesagt hatte.
Die drei Benderzic auf der Rampe sprachen
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