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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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der Angst. Alzajas Schicksal war nicht völlig abhängig von körperlicher Tüchtigkeit. Da
    gab es noch einen anderen Faktor; und wenn Khira das Konzept des Steines auch nicht gänzlich verstand, Alzaja tat es bestimmt. Und gewiß würde Alzaja als Barohna den Weg wieder zurückkommen.
    Eine Barohna. Für einen Moment runzelte Khira die Stirn. Aber wenn Alzaja eine Barohna werden muß, so möge es geschehen. Alzajas Ferne und Gelassenheit würde noch das Wesen der Alzaja, wie sie heute war, enthalten. Ihr Haar, das im Wind schwebte, ihre Wangen, blaugefärbt vom Sonnenlicht, das durch die Blütenblätter der Bäume strahlt.
    »Du verstehst«, sagte Khira.
    Alzaja seufzte tief und blickte hinunter zu ihren gekreuzten Füßen. »Ja, ich verstehe. Ich weiß eine Menge über Mara; und dich und unsere Mutter – und mich selbst.« Sie war für einen Augenblick still, starrte auf ihre Finger, lang und schmal, die Nägel geschliffen. »Aber jenseits des Steines liegt das Eis, Khira. Und das ist leichter, denke ich. Der Stein – der Stein muß in deinem Inneren wachsen. Vorausgesetzt, du hast von Geburt an einen kleinen Samen davon in dir. Ich glaube nicht, daß er immer entsteht, unabhängig davon, wie hart du trainierst. Aber sogar dies kleine Teilchen wäre nicht genug, wenn du es nicht durch Lernen und üben kräftigtest. Sogar der Stein kann dich nicht schützen, wenn du dein Leben dem Tier hinwirfst.«
    »Aber einmal ist der Stein da, einmal wirst du mit ihm gelebt haben; und wenn er dich schließlich verläßt – wenn du deinem Thron gedient hast –, wird dein Herz wieder zu Fleisch ...«
    Sie blickte kurz auf Khira hinunter, und Schmerz trübte zum erstenmal ihre Augen. »Ich hasse es, mir dich so vorzustellen, hart wo ich weich bin, aber ich fühle es in dir. Ich weiß, daß der Stein in dir ist, Khira, und ich weiß, daß du einem Thron dienen wirst, wenn du eifrig genug übst. Und ich weiß, daß eines Tages dein Herz wieder zu Fleisch werden wird.
    Dann mußt du herausfinden, wie du statt dessen das Eis in dein Herz nimmst. Nicht so bald, sicher nicht. Vielleicht möchtest du bei den Wächterinnen der Rotmähnen mit deiner Steingefährtin eine Weile in der Ebene verbringen, wie es Kadura tut. Vielleicht möchtest du den Hirten folgen und die herbstlichen Sonnenuntergänge beobachten. Vielleicht wirst du dich für einige Zeit mit den Hirten verbinden.
    Aber eines Tages wirst du genug davon haben. Zu viele deiner Wächterinnen-Gefährtinnen werden beim Bonding fallen und dich verlassen. Dann mußt du das Eis in dein Herz nehmen und die Dinge vollenden.« Als sie Khiras verständnisloses Gesicht sah, ergriff sie ihre Hand. »Du verstehst natürlich nicht, was ich sage. Du bist zu jung. Alles, was du tun mußt, ist, dich daran zu erinnern. Wenn die Zeit kommt und du müde bist, nimm das Eis in dein Herz, wie du einmal den Stein genommen hast. Du wirst den Weg finden.
    Das ist das ganze Geheimnis. Stein und Eis.« Sie lächelte, ihr Blick schweifte zurück über das Tal. »Dennoch will ich dir noch etwas erzählen. Wir stammen von einer Rasse ab, die sich im Verlauf vieler Jahrhunderte verändert hat. Als die Vorzeiter hier strandeten, waren sie kaum dazu fähig, auf Brakrath zu überleben. Aber über die Jahrhunderte hinweg veränderten sie sich; Dutzende kleiner Veränderungen fanden an ihnen statt, die sie zu völlig anderen Menschen machten.
    Ich denke, diese Veränderungen werden weitergehen. Ich nehme an, eines Tages wird es Palasttöchter geben, die allein durch den Willen härten, ohne auf den Berg gehen und die Probe ablegen zu müssen. Und vielleicht wird es dann genug von ihnen geben, so daß niemand lange mit dem Stein in seinem Herzen leben muß. Statt dessen können sie den Stein ablegen, wenn sie noch jung sind, und Jahr für Jahr mit Herzen aus Fleisch leben, bevor sie schließlich das Eis nehmen.«
    Stein, Fleisch, Eis. Khiras Kopf war voll halbverstandener Gedanken. Sie bildeten sich und lösten sich so rasch wieder auf, daß sie kaum ihren Kern erfassen konnte. Alzaja dachte, sie hätte Stein in ihrem Herzen. Aber wenn ihr Herz hart war, weshalb fühlte sie sich dann, als stünde sie bis zum Bersten unter Druck? Wenn sie der Meinung war, sie wäre wie ihre Mutter, streng und stark, warum rannen dann Tränen ihre Wangen hinab? Und da war noch etwas anderes in dem, was Alzaja gesagt hatte; etwas, dem sie sich nicht stellen wollte. »Bitte ...«, sagte sie.
    Alzaja hielt sie dicht an sich gedrückt

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