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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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über das Eis und den Stein erzählt habe«, sagte Alzaja mit sanftem Nachdruck. »Möchtest du nicht friedlich zuhören, kleine Schwester?«
    Khira entging der Tadel nicht. »Alzaja, du weißt, daß ich nicht unter einem friedlichen Stern geboren bin.« Nicht unter der gelassenen Nindra oder der friedlichen Zan, die kam und ging in weißer Stille. Adar war Khiras Gestirn; ein glühender, roter Stern, der aus dem Westen kam; ein Gestirn der Trommelschläge, der hagelnden Pfeile; ein Gestirn der kriegerischen Gesänge aus den Zeiten der Unruhen.
    Aber Alzaja wußte stets, wie sie Khiras Widerstand besänftigen konnte; wie sie ihre Unruhe zügeln und den drohenden Sturm in Nachgiebigkeit verwandeln konnte. Und das würde zugleich Khiras größter Verlust sein. Ob nun Alzajas Zeit für den Berg gekommen war oder nicht; die Tage ihrer Vertrautheit endeten auf jeden Fall jetzt. Khira würde ihre Stimmungen selbst zu beobachten haben, ihr eigenes Verhalten abzuwägen. Wenn sie diese letzten Augenblicke zerstörte, würde sie keine anderen haben, an die sie sich erinnern könnte. Dies waren die einzigen, die letzten Momente, die sie besitzen würde, bevor Alzaja verhärtete.
    Khira schloß die Augen, griff auf die Reserven ihres Gemüts zurück, die zu fördern Alzaja sich lange bemüht hatte. »Ich bin bereit zuzuhören.«
    »Dann bin ich bereit zu sprechen. Aber was ich dir sagen möchte, ist nicht nur, wie eine Barohna schließlich stirbt. Zuerst mußt du wissen, wie eine Barohna lebt, wie sie eine lebendige Barohna wird.«
    Entgegen ihrem Vorsatz löste Ungeduld Khiras Zunge. »Jeder weiß das. Sie machen ihre Probe.«
    »Ja, sie machen ihre Probe. Aber da gibt es mehr. Wenn sie nur das schwächste Tier, das sie finden würden, zu töten brauchte, würde ihre Härteprobe mit diesem Tier zu tun haben, nicht mit ihr selbst. Nein, das wirkliche Geheimnis des Hartwerdens liegt im Stein.«
    »Dem Sonnenstein?« Aber wie konnte das sein? Niemandem war es gestattet, den Sonnenstein des Thrones im Tal auch nur zu berühren, außer einer lebendigen Barohna.
    Alzaja lächelte versonnen. »Dem Stein in ihrem Herzen, Khira.« Sie berührte mit den Fingerspitzen leicht ihre Brust. »Das ist es, was in Wahrheit geschieht, wenn eine Palasttochter den Berg hinauf steigt und ihr Tier herausfordert. Ihr Herz versteinert ganz und gar. Sie wird hart, da, wo sie lebt; hart genug, den grimmigsten Breeterlik herauszufordern und zu überleben; hart genug, den Fels-Leoparden bis zu seiner Höhle zu verfolgen und ihm mit der bloßen Hand den Nacken zu brechen; hart genug, sich auf die Spur des Klipp-Chargers zu begeben und die einzig schwache Stelle in seiner Panzerung mit dem Spieß zu treffen. So kommt die Härtung über sie.«
    »Wenn sie aber zum Berg geht mit einem Herzen, das nicht zu Stein werden kann, könnte sie sich dem Klipp-Charger in den Weg stellen, aber der Spieß fände sein Ziel nie. Es ist egal, wie hart sie ihren Körper den Übungen unterworfen hat, wenn ihr Herz aus Fleisch bleibt.«
    Verwirrt versuchte Khira zu begreifen; versuchte es in einen Zusammenhang mit dem zu bringen, was Alzaja über ihre Schwestern gesagt hatte, die bereits auf den Berg gegangen waren. »Aber Mara ...«
    »Vielleicht hat Mara den Stein genommen, ich weiß es nicht. Ich weiß, daß sie nicht übte, weil sie in ihrer Verblendung glaubte, wie unsere Mutter sein zu müssen. Sie betete unsere Mutter an, Khira. Du hast die Geschichten über die Menschen gehört, die an Götter glauben; Leute, die aus dem Tal gehen, Steinbilder mit sich tragen und nie mehr zurückkommen. Unsere Mutter war Maras Göttin; und Mara dachte, es genüge, sie anzubeten. Sie schaute nicht tief genug. Sie sah nicht den Stein im Herzen unserer Mutter, obwohl ihr Denabar sagte, daß er dort war. Und sie blickte nicht in ihr eigenes Herz. Sie war der Meinung, sie müsse nur den Berg hinaufwandern – mit straffen Schultern – so wie unsere Mutter geht, mit der gerunzelten Stirn unserer Mutter, und jedes Tier würde vor ihr niederfallen.«
    »Und dann wollte sie zu ihrem Bündel zurückgehen und das mitgenommene Brot essen«, flüsterte Khira und begann zu verstehen.
    »Ja«, Alzaja lächelte wieder, in Erinnerung versunken. »Ich wünschte, du hättest sie gekannt. Du würdest sie besser verstehen.«
    »Aber
du
verstehst. Du weißt, wie man das macht – wie man sein Herz in Stein verwandelt.«
    Zum ersten Mal, seit Alzaja ihren Tag verkündet hatte, fühlte Khira ein Nachlassen

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