Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
Vom Netzwerk:
gehört hätte, wenn es sie gegeben hätte. Die Boten und Monitoren waren gegangen. Im Raum befanden sich nur Tiahna und Khira.
    »Sie wird nicht zurückkommen«, sagte Khira schließlich. Tiahna seufzte schwer. »Nein, das wird sie nicht«, erwiderte sie heiser. »Du siehst es also auch.«
    »Sie wird nicht zurückkommen«, sagte Khira wieder und mußte sich gewaltsam beherrschen, damit ihre Stimme nicht schrill wurde und daß sie nicht in Tränen ausbrach. »Ich verstehe nicht, weshalb sie gegangen ist, wenn sie doch wußte, daß sie nicht zurückkommen würde.« Sie konnte es nicht ertragen, sich Alzaja als sterbende Blüte vorzustellen, die einfach aus ihrem Leben fiel. Sie konnte es nicht ertragen, sich selbst als reifende Frucht zu sehen, die Alzaja verdrängt hatte.
    »Es war an der Zeit, daß sie ging«, sagte Tiahna und wich Khiras fliehendem Blick aus. Der Paarungsstein glühte sanft unter ihren Fingern. »Sie gehörte nicht zu denen, die als ständige Töchter hierbleiben wollen. Ihr Geist wurde bereits vor Jahren zu dem einer Frau. Wie lange hätte sie noch im Körper eines Mädchens leben können? Doch wenn sie noch länger geblieben wäre, hätte sie vielleicht die Kraft verloren, die man braucht, um auf den Berg zu gehen.«
    »Aber – aber, sie ist dorthin gegangen, um zu sterben. Sie ist gegangen, um sich von einem Tier töten zu lassen!«
    Das war es, weshalb sie dorthin gegangen war, ein Leben zu verlieren, das keinen Sinn mehr für sie hatte. Oder ein Leben, das so viel Sinn beinhaltete, daß sie wußte, sie mußte es verlieren, solange sie noch die Kraft hatte.
    »Oder vielleicht wird sie sich einfach in den Schnee legen, um zu schlafen«, sagte Tiahna sanft.
    Khira zitterte. Sie konnte das leere Mitleid in Tiahnas Stimme nicht ertragen. Sie hatte es nie zuvor an ihr wahrgenommen, nicht einmal andeutungsweise. »Sie wird sterben, und es kümmert dich nicht«, schrie sie. »Du machst dir keine Sorgen um sie – oder mich – oder irgend jemanden außer Rahela! Du bist steinern, wo jeder andere lebt!«
    Schluchzend rannte sie aus dem Thronsaal, lief die verlassenen Korridore hinunter zu ihrem Schlafzimmer. Dort warf sie sich aufs Bett und machte ihrer Verwirrung, ihrer Unzulänglichkeit, ihrem Zorn mit erstickten Schluchzern Luft. Wenn es das war, was sie mit einem ›Stein im Herzen haben‹ meinten; wenn es bedeutete, unbesorgt dort zu sitzen, während eine Tochter stirbt, dann wollte sie ein Herz so weich wie Alzajas haben. Sollte sie doch auf Terlath sterben wie all die anderen, und Tiahna mit ihrem glühenden Thron und dem blauen Paarungsstein, der sie mit Rahela verband, allein lassen.
    Aber ich mache mir Sorgen.
Der Gedanke war plötzlich in ihrem Kopf, ohne ihr Dazutun.
Ich sorge mich.
Kam das aus ihr selbst? Und wenn es ihr Gedanke war, warum war es dann Tiahnas Stimme? Und warum ging es weiter und weiter, wiederholte immer dieselben beiden Sätze, während sie sich in den Schlaf weinte, in ihre Bettdecken gewickelt.
    Es war dunkel, als sie erwachte. Sie sprang mit einem wilden Schrei aus dem Bett und eilte zum Fenster, Wolken verdeckten die Monde und Sterne. Nirgends auf dem Berg entdeckte sie eine Gestalt mit einem weißen Hemd, die sich den Pfad hinabplagte. Nirgendwo dort gab es ein Zeichen von Alzaja. Mit leerem Denken stolperte Khira ins Bett zurück.
    Früh am nächsten Morgen schleppte sie sich wieder aus dem Bett. Ihr Gesicht war geschwollen, der Körper wie Blei. In der Nacht hatte jemand – ein Diener? – eine weiße Trauerschärpe am Fuße ihres Bettes gelassen. Sie weigerte sich,
sie
anzurühren. Statt dessen saß sie am Fenster und starrte den Berg an, bis die Sonne hoch stand. Sie vergaß alles um sich herum; den Wind, den Wohlgeruch der Obstgärten, den Betrieb auf den Avenuen und Feldern jenseits des Palastes. Sie runzelte nicht einmal die Stirn, als ein Bodenfahrzeug der Arnimi unter ihrem Fenster vorbei die Steinavenuen zu den Dämmen hinunter schnurrte.
    Es war gegen Mitte des Morgens, als sie ein Glitzern von silbernen Schwingen über der westlichen Spitze des Berges ausmachte. Die Schwingen hingen dort ausgebreitet vor der Sonne, dann zogen sie sich abrupt hinter den langgestreckten Fels des Berges zurück und erschienen nicht wieder.
    Sie brauchte die aufblitzenden Schwingen nicht noch einmal zu sehen. Sie kannte ihre Botschaft. Ihr jeglicher Hoffnung beraubtes Herz wußte darum; dieses Herz, das bereits derart verwundet gewesen und jetzt taub war. Sie wandte sich

Weitere Kostenlose Bücher