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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Einige Minuten später, auf dem oberen Teil der Treppe, wurde er statt dessen mit einem wütenden Mädchen konfrontiert. Es wurde rasch verdrängt von einem Mädchen, das beides war; wütend und erschrocken. Mit diesem Mädchen verließ er den Turm und ging zu einem tiefgelegenen Raum mit Mauerbögen, Spiegeln und polierten Fliesen. Das Mädchen, das er dort antraf, brachte ihn so weit, daß er sich selbst verletzte; doch beinahe augenblicklich erschien ein anderes Mädchen, um ihn zu beruhigen und zu ernähren.
    In der Erscheinung waren sich die Mädchen genau gleich: schlank und hübsch, mit bernsteinfarbenen Augen und kastanienbraunem Haar. Schließlich begriff er die Gleichmäßigkeit der Situation und war sofort weniger angespannt. Es gab nur ein Mädchen, so wie er ein Junge war, der von einem Lenkenden geleitet wurde.
    Immer, wenn er morgens sein Schlafzimmer verließ, traf ihn das Mädchen im Flur und begann damit, die Worte ihrer Sprache für ihn zu wiederholen. »Fliese, Dunkeljunge –Niese. Das ist eine Bodenfliese.« Gewöhnlich griff sie nach Meinem Arm, um sicher zu gehen, daß sie seine volle Aufmerksamkeit besaß, und deutete auf die Dinge, die sie benannte. Dann hielt sie seinen Arm fest und fuhr fort, zu deuten. »Sprich: Bodenfliese.
Bodenfliese. « –
bis er den Laut nachahmte, den sie geäußert hatte. Es kostete ihn am ersten Morgen einige Stunden, bis er begriff, daß die Laute, die sie von sich gab, mit den Gegenständen, auf die sie zeigte, verknüpft waren. Doch als er einmal die Beziehung verstanden hatte, lernte er rasch.
    Da gab es Wände, Türen, Böden und Decken; Betten, Tische, Kissen und Sessel; Frühlingsbrot, Schmelzwasser, geröstete Hühner und Eier; Spielbretter, Tafeln, Spiegel und Thron. Und viele andere Dinge. Er lernte von allen den Klang. Er lernte auch den Klang der Dinge, die er und das Mädchen gemeinsam machten: rennen, springen, gehen, klappern. »Ich lächle, Dunkeljunge. Sieh – schau her:
Lächeln. «
Obwohl er es nie ausprobierte, nahm er an, das Mädchen würde ihn nicht essen lassen, wenn er nicht lernte; und er war hungrig. Er fühlte sich sehr ausgehungert. Vielleicht trug es auch dazu bei, daß er keine eigenen Worte für irgendeines der Dinge besaß, die hier zu finden waren. Wenn er nicht die Sprache benutzte, die sie ihm beibrachte, konnte er überhaupt nicht sprechen. Und sein Lenkender wünschte, daß er sprach; weil er Fragen stellen wollte. Der Junge spürte ihren Druck im Hintergrund seines Verstandes. Die Spannung, die sie erzeugten, war nicht angenehm.
    Das Mädchen schien nicht richtig einschätzen zu können, wie schnell er ihre Sprache lernte. Vielleicht hatte sie vorher noch nie jemanden unterrichtet.
    Aber es gab mehr als die Sprache zu lernen. Der Palast war voller Gänge und hatte viele Zimmer. In jedem Raum gab es Dinge, die untersucht und klassifiziert werden mußten. Während der ersten Tage im Palast verrichtete der Junge seine auferlegten Pflichten automatisch; berührte, roch, tastete, streichelte, wog, ging mit den Dingen um. Manchmal hielt er inne und zerbrach sich den Kopf üb das, was er gelernt hatte; über Beziehungen zwischen Beschaffenheit und Aroma, Gestalt und Gewicht. Zu andere Zeiten schien das Untersuchungsverfahren ohne seine bewußte Aufmerksamkeit weiterzugehen, als ob seine Sinne und Hände ihre Arbeit kannten und ohne Unterstützung weitermachten.
    Undeutlich erkannte er, daß es auch noch andere Seite seiner selbst gab, die ohne sein Dazutun arbeitete Manchmal ertappte er sich dabei, daß er sein Gesicht zu Mienen verzog, die den Launen des Mädchens entsprach auch wenn er sie nicht teilte. Manchmal nickte sein Kopf etwas, was sie sagte, obwohl es ihn nicht interessierte. So folgte er kommentarlos ihren Unternehmungen, von denen er sich eigentlich zu entfernen wünschte. Sie war vernarrt in Brettspiele. Sie verbrachten jeden Tag Stunden, über da große Brett gebeugt, und bewegten passend geschnitzte Teile nach unklaren Regeln. Der Junge wollte statt dessen forschen, aber sein Lenkender wies ihn an, zu spielen. Es war wichtig, das Mädchen zufriedenzustellen.
    Ohne Zweifel würde es später andere Leute geben, die zufriedengestellt werden müßten. Doch der Junge verschwendete nicht mehr als flüchtige Gedanken daran. Es war ersichtlich, daß sein Körper seine Arbeit kannte und sie angemessen verrichten würde. Obwohl sein Lenkender keinen wahrnehmbaren äußeren Einfluß hatte, obwohl er die Welt nicht

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