Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Fäuste ballten sich. Ihm standen keine Entscheidungen zu. Wenn Tanse fortging, um bei ihrer ersten Volljährigkeit einen Breeterlik oder KlippCharger zu jagen, dann würde es – wenn sie es tötete, oder wenn es sie tötete – in der Legende des Tales bedeutsam sein. Wenn er fortginge, würde nicht einmal das Ergebnis etwas bedeuten. Wer war er denn?
Ein Palastsohn. Der einzige Palastsohn, den eine Barohna jemals empfangen und lebend zur Welt gebracht hatte. Der einzige Palastsohn, der jemals seine ersten Schritte in einem Brakrathipalast gemacht hatte. Der einzige Palastsohn, der jemals durch große Fenster gestarrt und sich gefragt hatte, welchen Weg er einschlagen sollte und wie er den Mut aufbringen sollte, ihn zu finden und einzuschlagen.
Es schien Danior, daß er keinen Mut besaß. Die Fragen seines Vaters unterstrichen diese Tatsache nur.
Seine Hände schmerzten, so sehr hatte er sie verkrampft. Er starrte auf seinen Vater und spürte, wie sich der Schmerz in Zorn verwandelte. Wenn seine Mutter einen Mann von Brakrath als Vater ihres ersten Kindes gewählt hätte – einen Hirten, Züchter oder Edelsteinmeister –, wäre er als Palasttochter oder gar nicht zur Welt gekommen. Statt dessen hatte sie einen Mann von einer anderen Welt gewählt. Danior fragte sich bitter, ob sie sich Gedanken über das endgültige Resultat dieser Vereinigung gemacht hatte; die Geburt eines Kindes, das außerhalb aller brakrathschen Traditionen stand.
»Vielleicht mache ich dasselbe wie du«, antwortete er scharf. »Vielleicht werde ich ein Gemahl.« Ein Mann ohne Gewerbe oder Handwerkszeug. Ein Mann, weder mit Besitz noch mit einem Stand versehen. Und ohne Legenden, die er hervorgebracht hätte, Geschichten, die sich um seine Ankunft und Gegenwart spannen. Ohne den Platz, den er sich geschaffen hatte.
Sein Vater runzelte bei seiner Widerspenstigkeit leicht die Stirn. »Ach so, denkst du, ich schäme mich dafür, ein Gemahl zu sein, Danior? Nur weil es keine anderen gibt? In dem Falle sage ich es dir jetzt – ich schäme mich nicht. Die Verpflichtungen, die deine Mutter auf sich genommen hat, Wild drückend. Die Entscheidungen, die sie trifft, regeln das Leben einer jeden Person im Terlath-Tal. Und sie hat beschlossen, auf die Tradition zu verzichten, und schenkte lieber mir als einer Steingefährtin ihre Treue. Sie wählte mich als die Person aus, mit der sie spricht, die Person, mit der sie Ihre Sorgen teilt, die Person, die in ihrem Leben eine Konstante bleibt. Ich schäme mich nicht, diese Person zu sein. Ich habe mich dessen nie geschämt.
Aber du solltest nicht mit dem Gedanken spielen, in meine Fußstapfen zu treten. Nach mir wird es keine Gatten mehr geben. Das hat der Rat klargestellt, als er meine Brüder fortschickte. Die Barohnas sind noch nicht bereit, den Paarungsstein beiseite zu lassen und sich ständige Gefährten zu nehmen. Weder unter den Männern aus den Hallen noch von anderswoher.«
Danior schauderte, er wand sich unter dem beharrlichen Blick seines Vaters, schämte sich fast seines Trotzes. Er hatte die Brüder seines Vaters nie kennengelernt und nie gewagt, ihn darüber auszufragen. Manchmal dachte er an sie, wenn Leute unter seinem Fenster auf der Plaza lachten und sein Zimmer gähnend leer war. Er wußte nur wenig: daß es vier gewesen waren, daß sie seinem Vater und untereinander ähnlich waren, daß die Leute sagten, sie könnten aus demselben Ei entstanden sein, daß sie – wie die Arnimis – von den Sternen gekommen waren, daß der Rat sie zurückgeschickt hatte, drei von ihnen ... Der vierte ... Stirnrunzelnd blickte er seinen Vater an. »Der Rat hat nicht all deine Brüder fortgeschickt. Der Älteste ...«
»Nein, sie haben Jhaviir nicht fortgesandt, obwohl ich sicher bin, daß sie es vorhatten. Wir haben nie über derlei Dinge gesprochen – wie du weißt –, über das, was geschah, bevor du geboren wurdest. Ich habe mich schon gewundert, warum du mich nicht gefragt hast.«
Danior bewegte sich unbehaglich. »Ich dachte – ich dachte, du wolltest darüber nicht sprechen.« Wenn er Brüder besessen und sie verloren hätte, Brüder, die ihm glichen, Brüder, die verstanden, was er sagte, und die all die Dinge verstanden, die er nicht auszusprechen wagte, Brüder, zu denen man um Mitternacht hingehen könnte, wenn die Leere überhandnahm – die Erinnerung daran würde sehr weh tun.
Sein Vater senkte nachdenklich den Kopf. »Es gab Zeiten, da wollte ich nicht darüber sprechen. Es war
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