Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
gleichgültig. Aber dennoch auf eine gewisse Art fremder als andere Gedanken, die er vorher gehabt hatte. Weil er jetzt den Stein benutzt und finstere Dinge gesehen hatte.
Er nahm kaum die vorübereilenden Jährlinge wahr. Vor Einbruch der Dunkelheit hielt er neben einem kleinen Teich an, er wußte, daß es sinnlos war, sich heute nacht noch bis zu den Zinnen weiterzutreiben. Er würde Keva jetzt nicht finden. Und morgen wollte er schneller wandern. Seufzend setzte er sich hin und öffnete das Bündel. Diesmal wenigstens regte der Geruch von Brot und Käse seinen Appetit an, obgleich er entdeckte, daß er nicht viel zu sich nehmen konnte.
Er war fast mit dem Essen fertig, als er ein schlurfendes Geräusch hörte. Langsam stand er auf und blickte in die Schatten. Ein Raubtier? Er schloß eine Hand um den Spieß, die Finger verkrampft.
Das Schlurfen kam näher, und zu seiner überwältigenden Erleichterung erkannte er Waana. Sie suchte sich behutsam ihren Weg durchs Gras, sie humpelte vor Schmerz. »Waana«, sagte er sanft, denn er wollte sie nicht erschrecken. War Keva zurückgekommen? Er blickte besorgt an Waana vorbei, aber er sah sie nicht.
Es würde nicht leicht für ihn sein, sie zu finden.
Waana hob die milchigen Augen und musterte ihn stumm, während er auf sie zukam. Als er sie erreichte, senkte sie den Kopf. Danior musterte sie beunruhigt aus der Nähe. Sie stand dort, als wäre sie nicht nur müde, sondern als hätte sie Schmerzen. Er bückte sich schnell, um sie untersuchen, und hob ihre schwieligen Hufballen ein nach dem anderen.
Selbst im Dämmerlicht konnte er den tiefen Schnitt in ihrem hinteren linken Hufballen erkennen. Die Wunde war mit Schmutz und getrocknetem Blut überzogen. »Du hast deinen Ballen eingerissen. Wenn du erlaubst, daß ich ihn säubere und verbinde ...« Er zögerte; er war sich nicht sicher, ob sie seine Sprache verstand. Einige Stuten verstanden sie gut, andere verstanden sie nicht besser, als die meisten Talmenschen die stumme Kommunikation verstanden, die unter den Rotmähnen ablief.
Waana murrte und ging zum Wasser. Unter Schmerzend ließ sie sich neben ihm nieder und schaute zu ihm empor.
Wenigstens begriff sie, daß er sich um sie kümmern würde. Schnell sichtete Danior sein Bündel. Er hatte wenig dabei außer Essen, eine Wasserhaut und Kleider zum Wechseln. Er nahm eine grobgesponnene Tunika heraus und riß sie in Streifen, die er in den Teich tauchte.
Er biß sich auf die Lippe und spülte die Wunde mit Wasser aus, säuberte sie vom verkrusteten Schmutz. Er hatte nichts dabei, um den Schnitt zu nähen, aber er band die Wunde fest zusammen, wie es eben ging. Waana hatte sich vermutlich am scharfen Gestein der Zinnen geschnitten.
»Wenn du jetzt schläfst«, drängte er sie, »dann kannst du morgen schon wieder gehen.«
Die Stute murrte und machte keinen Versuch aufzustehen. Erleichtert, froh über ihre Gesellschaft und müde breitete Danior sein Bettzeug in der Nähe aus und schlief beinahe augenblicklich ein.
Als er später erwachte und die Monde über und Waana neben dem Teich stehen sah, zog er die Decken enger um sich und gesellte sich nicht zu ihr. »Du solltest heute nacht dein Gewicht nicht auf das Bein legen.«
Aber sie fuhr mit dem Unterricht für niemanden fort.
Schließlich, als er nicht wieder einschlafen konnte, seufzte er und verließ sein Ruhelager.
Sie lehrte, was sie stets lehrte: wo man die nötige Nahrung fand, wie man die Gegenwart einer Gefahr spürte, wie man die Stuten der Herde behandelte, wie man lebte. Sie lehrte alles, was Danior hätte wissen müssen, wenn er eine Rotmähne gewesen wäre. Er seufzte noch einmal, tiefer, und öffnete sich dem Unterricht. Er fühlte dankbar, wie etwas von seiner Energie zurückkehrte, sich von den Fingerspitzen bis zu den Armen ausdehnte, von den Armen bis zum Beginn des Halses, und ihn wärmte.
Sie lehrte, bis sich die Monde dem Saum des Teiches näherten. Dann veränderte sich ihre Stimme.
Höre, Talfohlen. Manchmal nehmen wir von anderen Geschöpfen der Ebene Lektionen an. Manchmal nehmen wir Lektionen von unseren Wächterinnen an. Jetzt habe ich eine Lektion gelernt, die überhaupt keine ist. Alle Herden werden sie hören wollen, obwohl sie nicht zu ihrem
r ieden und ihrer Stärke beitragen wird, sondern nur zu ihrem Vergnügen. Es ist eine Lektion voller Licht und Schatten, eine Unterweisung über einen Ort, den wir nicht kennen.
Sein Instinkt sagte ihm, was Waana unterrichten wollte. Er
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