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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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verspannte sich, seine Fingerspitzen wurden kalt. Er wollte den Kopf heben, den Bann des Unterrichts brechen. Aber noch lieber, so wurde ihm klar, wollte er unter den weißstämmigen Bäumen wandern. Er wollte den fremden Ort aus der Nähe betrachten. Er zögerte nur einen Moment, dann hob er die Hand und umklammerte den Stein.
    Höre,
mahnte Waana,
du wirst Lichtes hören, und es wird dich froh machen. Und du wirst Finsteres hören, aber es kann dich nicht verletzen, weil es nicht wirklich ist. Höre, Talfohlen.
    Dann erhob sich das Lied, glatt und seidig, und hinter Daniors geschlossenen Augen bewegten sich Lichter. Während er noch zuschaute, veränderten sie ihre Farben und der Glanz, als schienen fremde Monde auf wechselnden Oberflächen. Dann gab es Bahnen seidenen Tuches, einige hingen frei und locker herab, andere waren straff zu durchscheinenden Farbflächen ausgestreckt. Da gab es Bäume, deren Stämme in die Dunkelheit ragten wie weiße Stengel.
    Da gab es rosafarbene Körper, geduckt und furchtsam, die lange, biegsame Körper in dunklem Fell. Jagende Tiere, große und kleine, wandten dem Licht ihre glitzernden Augen zu, dann flohen sie. Danior griff nach ihnen allen; Stein verbrannte seine Finger, sein Licht stach ihm in Augen.
    Das Lied ging weiter. Die vielen Lichter wurden zu eine das aus dem dunklen Hintergrund Gesichter hervortreten ließ. Rosige, fleischige Gesichter, dunkelbepelzte Gesichter, Gesichter mit gelben Fangzähnen – Danior stöhnte, als die Gesichter an Wildheit zunahmen.
    Das Licht wurde zu einem versengenden Punkt, dann wurde es wieder größer, und Danior schaute in ein mit dunklem Fell bewachsenes Gesicht mit schräggeschnittenen Augen. Sein Kiefer war muskulös und ging in einen entsprechend kräftigen Hals über. Danior wich zurück, sein Herzschlag beschleunigte sich. Es war das Gesicht eines Raubtieres, ein bedrohliches Gesicht, aber dennoch lag etwas darin, etwas ...
    Die Neugierde trieb ihn an, und er griff noch weiter heraus. Das Gesicht war geistloser als das, was er in der Nacht zuvor gesehen hatte. Die Augen waren schwefelfarben, stumpf. Der Mund lächelte nicht. Und doch war es bei näherer Betrachtung dem Tier sehr ähnlich, das er beobachtet hatte, wie es sich in seiner Laube das Fell putzte. Daniors Blick wurde von dem glühenden Fleck am Halsansatz gefesselt, und er sah näher hin.
    Die Schatten zogen sich zurück, und Licht breitete sich aus, und er sah einen kräftigen, muskelbepackten Körper mit verfilztem kastanienbraunen Fell. Er sah eine rosafarbene Zunge, die schlaff zwischen den Zahnstummeln heraushing. Und er sah Schmerz. Sah ihn deutlich.
    War das Tier verletzt? Verloren? Danior stieß die Luft aus, und das Licht dehnte sich wieder aus. Das Tier stand unter großen weißen Bäumen mit geäderten schwarzen Blättern. Es hatte den Kopf zurückgeworfen und schaute hinauf in die Bäume.
    Danior folgte seinem Blick. Hoch in den Bäumen sah er ein Nest aus leuchtenden Seiden. Mondlicht schien hindurch und tauchte sie in viele Farben: Chartreuse, Smaragdgrün und Karmesinrot, Scharlachrot, Bernstein und Sonnengelb. Er zog die Lider zusammen und erkannte, daß das Tier mit dem muskulösen Kiefer vom Boden aus mit stummem Schmerz zu dem Nest schaute.
    Es war das Nest, das er bereits vorher gesehen hatte. Und das Tier war auch wieder da und putzte sich. Danior legte die Stirn in Falten und versuchte herauszufinden, was diese Szene bedeutete. Ein Nest aus farbigen Seiden in den Bäumen. Drinnen ein Tier, das die Zunge durch sein dunkles Fell zog. Ein anderes Tier, das hinaufschaute mit Augen, die keinen Funken Intelligenz enthielten, das voller Pein hinauf-starrte – wie auf etwas, das es gut kannte und doch nicht erreichen konnte. Danior beobachtete das brutale Gesicht und versuchte, in den geistlosen Augen etwas zu finden, das ihm mehr darüber verraten konnte.
    Er fürchtete sich, tiefer zu dringen. Knapp unter der Oberfläche der stumpfen Augen waren Schatten. Er hatte Angst vor dem, was in diesen Schatten leben mochte.
    Finstere Dinge. Bilder des Schreckens. Unbegreiflicher Schrecken.
    Waana sagte, die finsteren Dinge seien nicht wirklich.
    Doch das Tier, das dort stand und zur Laube hinaufschaute, schien wirklich zu sein. Verwirrung schnürte Daniors Kehle zu, ließ seinen Kopf schmerzen. Verwirrung und beginnende Panik. Er atmete schwer, versuchte die Hitze am Hals zu kühlen, die er dort spürte, wo der Paarungsstein lag. sofort stellte er fest, daß er sich

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