Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
vom Tier in den Bäumen, von der Laube fortbewegte. Er blies wieder, und Schatten ;törnten zwischen die weißstämmigen Bäume. Das fremde, wortlose Lied, daß Waana lehrte, verklang.
Zitternd befreite sich Danior ganz daraus. Er gewann die Wirklichkeit der Ebene, der Sterne, die über ihm glitzerten, und des soliden Bodens unter den Füßen wieder. Er setzte ,ich für einen Augenblick hin, betäubt und frohlockend. Er besaß genug Kontrolle. Er konnte nach einem anderen Ort ;reifen und sich von ihm lösen, bevor das Entsetzen begann.
Wenn er das konnte ...
Zitternd stand er auf, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte zu verstehen. Letzte Nacht hatte er den Stein getragen und war mit ihm in Kevas Bewußtsein gelangt. Das war die vor allem beabsichtigte Funktion. Er war dafür geschaffen, einen Verstand mit einem anderen zu verbinden.
Doch wie waren die Bilder, die das Blaue Lied begleiteten – die farbigen Seiden, die weißstämmigen Bäume, die braunfelligen Tiere – in Kevas Verstand gekommen? War sie sich ihrer bewußt? Oder hatte sie nur das Lied gehört? Und warum war die Verbindung ihrer beider Bewußtsein nicht wechselseitig gewesen? Warum war sie sich seiner Gegenwart und Gedanken nicht bewußt gewesen? Wirkte der Paarungsstein nur bei ihm?
Wenigstens war Waana am Lied vorbei in den weißstämmigen Wald gelangt. Wie sonst hätte sie ihm sagen können, daß die finsteren Dinge nicht wirklich waren? Und bedeutete ihre Warnung, daß die anderen Dinge wirklich waren, die Bäume und Nester? Es gab keinen Weg, sie zu fragen. Stirnrunzelnd berührte er mit einer Fingerspitze den Paarungsstein, doch als der Stein zu glühen anfing, zog er sie zurück. Ein Werkzeug, erinnerte er sich. Der Stein war nur ein Werkzeug, eines, mit dem er nur mangelhaft umzugehen verstand. Und der einzige Weg, sein Verständnis zu vervollkommnen, war die Übung. Durch das Hinunterreichen in das Herz des Steines.
Übung. Er müßte Übung haben. Die Monde verließen das Wasser. Waana seufzte und legte sich zum Schlafen ins Gras nieder. Danior saß noch eine Zeitlang da und starrte auf das dunkle Wasser. Dann hob er die Hand und schloß sie erneut um den Stein. Er griff nach dem Innersten, nach der Stelle, wo er lebendig war. Er wußte, wann er es berührte, weil der Stein aufleuchtete und trüb-blaue Strahlen auf die Wasseroberfläche warf. Hinauslangen; er mußte hinauslangen, wie er es gestern nacht im Schlaf getan hatte, wie er es heute nacht getan hatte; er mußte tiefer und immer tiefer in den Stein hineingehen, in den weißstämmigen Wald. Instinktiv holte er tief Luft, hielt den Atem an und schloß die Augen fest. Der Wärmeknoten an seinem Hals wurde ausgedehnter, stärker. Er dachte an Keva und langte nach ihr, langte nach ihrem Herzen, nach den Gedanken, die ihr Bewußtsein hervorbrachte.
Still, fast mühelos, betrat er ihren Verstand. Zuerst berührte er nur das Gedächtnis. Er roch den scharfen Schwefelgeruch der Geysire und spürte Schlamm unter ihren Zehen. Indem er näher langte –
langen,
das war es, was er tun mußte –, sah er die Wasseroberfläche. Gelbblütige Pflanzen trieben dort. Andere Stengel strebten durch die Oberfläche –um das Sonnenlicht aufzunehmen, begriff Danior; er entnahm es dem Wissen Kevas.
Er erkundete den Warmstrom eine Weile, dann griff er in andere Erinnerungstaschen. Und dann breitete sich die Wärme auf seinem Hals aus, und er betrat die Gegenwart. Es dauerte einige Zeit, bis er sie als solche erkannte, weil Keva träumte. Er spürte den Druck ihres Körpers auf dem Boden und verfolgte die schnellen, verwirrenden Passagen ihrer Traumbilder: eine hochgewachsene Frau, die vor einem Feuer stand; ein strahlender Ring, der in eine grollende Dunkelheit flog; Verwirrung, Furcht, Unsicherheit. Danior bewegte sich voller Unbehagen und wünschte, Keva würde aufwachen.
Aber als sie erwachte, war es nur, um eine verschwommene Gestalt einem Weißmähnenjährling nachspüren zu sehen.
Verwirrt versuchte Danior, in ihren Gedanken Fuß zu fassen, versuchte, durch ihre wachsende Unruhe hindurchzugelangen, um seine eigene Reaktion zu finden und abzugrenzen. Ein Minx? Ganz bestimmt würde sie nicht nur mit einem Spieß gegen einen Minx angehen? Ganz betimmt ...
Und dann, bevor er sich richtig orientieren konnte, nahm sie die Verfolgung des Minx auf, und Felsbrocken flogen. Die Erde riß auseinander, Brocken erhoben sich in die Luft, ein erschrockenes Gesicht starrte – und als beide,
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