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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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seine Küken von einem Buschwerk zum anderen geleitet. Ein Borkenbohrer hatte hier angehalten und einen Stamm mit seinem Speichel benetzt, um die saure Qualität der Rinde zu prüfen. Spinner hatten ebenfalls ihren Duft hinterlassen. Und auch die Eindringlinge ...
    Als sie die Schärfe ihres einen Tag alten Geruchs auffing, mußte sie gegen ihren Willen stehenbleiben und den Boden beschnüffeln. In der vorigen Nacht war ihre Nase nicht so scharf gewesen. Es waren mehrere Eindringlinge gewesen, und sie hatte ihre Geruchsspuren nicht auseinanderhalten können. Aber heute nacht stellte sie fest, daß dort drei deutlich unterschiedliche Gerüche miteinander verwoben waren. Sie hielt inne und sog die Düfte durch Nase und Maul zugleich ein; die unangenehme Schärfe der vermischten Gerüche ließ sie unwillkürlich fauchen. Unaufgefordert tauchten Fragen in ihrem Denken auf. War die Sternenstimme einst ebenfalls auf zwei Beinen gewandelt, so, wie es die Eindringlinge taten, und hatte sie dabei ihre Witterung auf dem Waldboden hinterlassen? Wenn es so gewesen war, woher war sie gekommen? Woher waren die Eindringlinge gekommen? Würden auch sie eines Tages Sternenstimmen sein? Sie hatte im Wald niemals von Geschöpfen dieser Art flüstern hören. Weshalb waren sie jetzt hier?
    Tsuuka richtete sich auf, und ein neuer Einfall ließ sie brummen. Die Eindringlinge hatten lebensvolle Körper, die ihrem stark ähnelten. Sie hatte sie gesehen. Sie hatte die Wärme der Fingerspitzen des kleinsten der Eindringlinge gespürt. Sie hatte ihre individuellen Witterungen jetzt in der Nase. Hatte die Sternenstimme ebenfalls vor Zeiten einen solchen Körper besessen; aus festem Fleisch, und ihm so kostbar wie ihr der ihre war? Falls das der Fall gewesen war, und sie dennoch in der Seide eingefangen worden war, um an ihre Nestpfosten gebunden zu singen ...
    Dann hatte auch die Ungesehene einen lebendigen Körper.
    Tsuuka schüttelte sich; ließ zu, daß dieser Gedanken in ihr Gestalt annahm. Konnte es nicht das gewesen sein, was ihr die azurblaue Seide beizubringen versucht hatte? Daß die Ungesehene für eine gewisse Zeit lebte, und dann wieder auf irgendeine Weise in Seide gefangen und bewahrt wurde, so daß man aus ihrer Lebensseide Meisterseiden fertigen konnte – und Singseiden von den Meisterseiden? Bisher hatte sie dies alles nicht ganz verstanden, so, wie sie es jetzt allmählich zu verstehen glaubte. Sie hatte sich die Ungesehene als eine schattenhafte Erscheinung vorgestellt; eine Erscheinung, die dennoch auf eine mysteriöse Art agieren konnte.
    Aber die Leibwächter waren gewiß nicht dazu geschaffen, eine gefährliche substanzlose Wesenheit zu bewachen. Es war ja nicht erforderlich, die Unverwundbare zu beschützen.
    Ein Hautstachler hatte schließlich keinen Stachel, weil sein Körper schwergewappnet gewesen wäre, sondern weil sein Fleisch weich war. Eine Sithi wachte nicht über ihren Neugeborenen, weil ihre Neugeborenen für ihre älteren Jungen gefährlich wären, sondern weil ihre Neugeborenen ihren älteren Geschwistern gegenüber wehrlos waren.
    Und die Ungesehene – so erkannte sie, während der Geruch der Eindringlinge noch in ihrer Nase war – bestand nicht nur aus Fleisch. Sie war die Vorläuferin der Singseiden, oder sie würde es sein, wenn sie zur Bewahrten geworden war. Eines Tages würden Singseiden einen Teil ihres Bewußtseins tragen und einen Teil ihrer Lebenskraft; aber beides würde zweimal übertragen worden sein.
    Das war es, was ihre Seide ihr in der vergangenen Nacht zu erklären versucht hatte. Daß die Leibwächter die Ungesehene eskortierten, weil sie aus weichem Fleisch bestand – und weil sich keine weitere in diesem Teil des Waldes befand, die fähig gewesen wäre, die Knollen auszusäen, aus denen die Spinner schlüpften. Wenn der Ungesehenen ein Leid geschähe, würde es bald keine Spinner mehr geben, die Seiden spinnen konnten, und keine Seiden mehr für die Nester der Sithis. Und im Wald würden Insekten nisten, wie in den Grasländern.
    Tsuuka starrte zum Mond empor, während sie diese Gedanken ordnete und die neuen Perspektiven prüfte, die sich ihr durch sie eröffneten. Ihre Lebensabläufe waren untereinander verwoben. Die Sithis schützten die Spinner vor Raubtieren. Die Spinner beschützten die Sithis vor Verletzungen durch Insekten und ernährten zugleich die Ungesehene, so daß es weiterhin Spinner gab und mehr Seiden. Die Seiden brachten den Gesang in das Leben der Sithis und

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