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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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er sein Vorgehen geplant hatte, sie konnte es nicht gutheißen. Denn er konnte ebensogut sterben wie sie. Und wer würde dann seine und Komas Geschichte niederschreiben? Wer würde mit ihr den Winter in den Bergen verbringen? Wer würde Zeichnungen in den Sand am Flußufer ritzen und über den Bäumen schweben?
    Sie hielt sich nur so lange auf, bis sie die zusätzliche Sternenseide verstaut hatte und, aus einer Eingebung heraus, die azurblaue Seide gefunden und um ihre Taille gebunden hatte. Dann nahm sie den Spieß an sich, zwängte sich in die Riemen ihres Antischwereaggregates und schwebte zwischen den Bäumen davon.
     

14 Tsuuka
    Tsuuka putzte ihre Nestlinge an diesem Abend besonders gründlich; sie reckten sich wohlig unter ihrer leckenden Zunge, grunzten vor schläfrigem Wohlbehagen und argwöhnten nichts. Aber als sich Tsuuka zu Falett und Darum begab, lagen die beiden mit weitgeöffneten Augen in ihren Seiden und sahen ihr entgegen; Falett ängstlich, Dariim mit gespannter Wachsamkeit. Da wußte Tsuuka, daß sie vermuteten, daß sie sie verlassen würde. Sie waren irgendwann im Laufe des Tages zu diesem Verdacht gelangt.
    Sie knurrte verhalten, als ihr mit zunehmender Entmutigung klar wurde, daß sie nicht so lange hätte warten dürfen. Sie hätte in der Dämmerung in das Herz des Waldes zurückkehren sollen, während ihre Jungen noch schliefen. Aber Riifika hatte darauf bestanden, den Tag über bei dem Jungen aus dem Grasland zu liegen, um mit ihm vertraut zu werden. Also hatte Tsuuka die Gelegenheit wahrgenommen, sich mit ihren eigenen Jungen und Nestlingen nochmals zu sonnen; sie noch ein letztes Mal zu füttern und zu säubern, bevor sie zurück in die Tiefe des Waldes ging.
    Vor ihr lagen Schatten genug. Sie hatte diese letzte lichte Szene gebraucht. Jetzt sah sie deren Widerschein in Dariims Augen; sie schien ihr Hohn zu sprechen.
    »Meine Jungen ...« begann sie; aber wie sollte sie fortfahren? Abschiedsworte waren ihr nicht geläufig, und eine letzte Ermahnung würde nicht ausreichen. Falett würde mit furchtsamer Aufmerksamkeit lauschen, aber Dariim hatte sich längst gegen mahnende Worte gefeit. Der Schein der roten Seide war in ihren Augen. Tsuuka starrte sie mit einer Hilflosigkeit an, die an Zorn grenzte. Daß sie sich aber auch derart um eines ihrer Jungen sorgen mußte, wo sie doch von allen gebraucht wurde ...
    Impulsiv beugte sie sich über Falett, um ihr Fell zu lecken, und flüsterte ihr ins Ohr: »Hohe Bäume und einen vollen Bauch, meine liebe Tochter.« Was konnte sie ihrer Erstgeborenen sonst noch wünschen, da sie ihr nicht soviel Liebe entgegenbringen konnte wie ihrer Schwester?
    Und vielleicht würde sie die rote Seide ja auch heute nacht einfangen können, ohne Schaden zu nehmen. Vielleicht würde sie morgen ihre Nestlinge sich ebenso im Gras tummeln sehen wie heute. Vielleicht würde sie eines Tages Zeuge, wie Falett ihren ersten Grasflegel schlug und sich einen Baum aussuchte, den sie mit ihrer Schwester teilen würde.
    Vielleicht – ein Wort, das wie Hohn klang. Tsuukas Augen glühten, und sie wandte sich aus dem Nest, bevor ihr die Tränen überfließen konnten. Sie verzichtete darauf, sich von Dariim zu verabschieden. Wie konnte sie unbeschwert von dem Jungen scheiden, dem Rebellion in den Augen geschrieben stand und das den Preis dafür nicht einmal ahnte? Tsuuka kletterte vom Baum, ließ sich zu Boden fallen und trottete in die Finsternis davon.
    Schatten folgten ihr. Es lag schon zu viele Nächte zurück, seit sie zuletzt Singträume angenommen hatte. Nachtmahre schlugen ihre Klauen in die geschwächten Barrieren ihres Bewußtseins. Aber sie hatte jetzt nicht die Zeit, Singträume zu nehmen, und sie hatte auch nicht die Himmelsseide bei
    sich, um sich anleiten zu lassen. Die übrigen Seiden – die scharlachrote, bernsteinfarbene, violette, gelbe; die chartreusefarbene, karmesinrote und smaragdgrüne – nicht eine von ihnen konnte sie auf die Art in Singträume geleiten, wie es die azurblaue Seide vermocht hatte. Sie war so geschmeidig gewesen, so glänzend – und heute nacht war sie auf Beute aus.
    Gedanken ... Die Nachtmahre waren nur Schatten der Gedanken, die ins Freie schlüpften, rief sich Tsuuka ins Gedächtnis, als sie zwischen den Bäumen dahertrabte und versuchte, sich auf diese Weise zu beruhigen. Wäre sie unempfindlich gegenüber den Nachtmahren, hätte sie niemals Gedanken mit einer Singseide austauschen können.
    Wäre sie unempfänglich für die

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